Durch die Pandemie gibt es mehr Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen. Manche brauchen eine Zeit lang Hilfe im Spital, allerdings sind die Ressourcen in Wien – und nicht nur da – sehr knapp.

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In Wien tut sich eine Lücke bei der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die in einem Spital aufgenommen werden müssen, auf. Wie DER STANDARD erfuhr, geht der Ärzteschwund an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Klinik Hietzing inzwischen so weit, dass der Betrieb zeitlich eingeschränkt werden soll. Die Abteilung soll demnach ab Juli zur Wochenklinik werden. Das bedeutet, dass sie dann nur mehr Montag bis Freitag laufen würde. Über die Pläne erhielt DER STANDARD sich deckende Informationen von verschiedenen, mit den Zuständen vertrauten Personen. Laut Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) ist eine Wochenklinik "ein mögliches Szenario".

Die Umwandlung in eine Wochenklinik würde jedenfalls bedeuten, dass stationär aufgenommene Patientinnen und Patienten vor dem Wochenende entweder zu entlassen wären oder transferiert werden müssten. Es wäre dann nur mehr eine bettenführende Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in ganz Wien auch am Wochenende offen: jene im Allgemeinen Krankenhaus (AKH). Diese gilt schon jetzt als sehr stark ausgelastet. Weiters wären für Wochenenden Transfers in sogenannte transitionspsychiatrische Abteilungen möglich – Stationen für Jugendliche ab 16 und junge Erwachsene. Diese Stationen, die mit Psychiatern und Psychiaterinnen besetzt sind, gibt es in Hietzing und Floridsdorf. Zusätzlich gibt es die Kinder- und Jugend-Psychosomatik der Klinik Ottakring.

Externe Unterstützung

Nach STANDARD-Informationen werden nach Ablaufen aller Kündigungsfristen demnächst nur mehr vier Fachärzte (Vollzeitäquivalente) an der Abteilung in Hietzing tätig sein. Sogar der Betrieb mit Nachtdiensten lediglich unter der Woche wäre damit nur schwer aufrechtzuerhalten. Schon jetzt werden auch externe Fachärztinnen und Fachärzte für Nachtdienste auf der Station eingesetzt, um Engpässe abzufedern. Der Wigev gibt an, bei etwaigen weiteren Personalausfällen könnten Fachärzte, die über den Psychosozialen Dienst der Stadt Wien angestellt sind, unterstützen.

Wegen des Personalmangels in Hietzing wurde bereits vor einigen Wochen eine Gefährdungsanzeige verfasst. Darin warnten Ärztinnen und Ärzte ihre Vorgesetzten vor absehbaren weiteren Kündigungen und möglichen Gefahren für Patientinnen und Patienten sowie das Personal aufgrund des Ressourcenmangels. Die Lage spitzte sich seither aber offenbar weiter zu. Laut Wigev wurden in Hietzing zuletzt zusätzliche Dienstposten für Pädiatrie und Allgemeinmedizin zur Verfügung gestellt und die Planstellen im multiprofessionellen Team mit Psychologen sowie Pädagoginnen aufgestockt.

Bedarf wächst und wächst

Allerdings ist das Patientenaufkommen gestiegen: Die psychiatrische Versorgung ist nach Regionen organisiert. Spitäler sind in Wien für die Akutpatienten bestimmter Bezirke fix zuständig. Das AKH soll zunehmend Bezirke an Hietzing abgegeben haben.

Zwei Jahre Pandemie haben zudem zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen geführt. Diese Entwicklung bestätigt auch der Wigev: Die Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei "sehr herausfordernd" und habe sich in dieser Zeit zugespitzt. An psychiatrischen Fachärztinnen und Fachärzten fehle es aber auf europäischer Ebene. "Dementsprechend schwierig gestaltet sich das Recruiting", heißt es. In naher Zukunft ist aber auch aufgrund der Fluchtbewegungen aus der Ukraine vermehrt mit jungen Patientinnen und Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu rechnen.

Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat zwar in der Kinder- und Jugendpsychiatrie den Ausbildungsschlüssel von bisher 1:1 auf 1:2 (eine Fachärztin darf künftig zwei Assistenten ausbilden) erhöht. Bis diese Änderung wirksam wird, wird es aber noch dauern.

Verweis auf Pilotprojekt

Der Wigev verweist auch auf das Projekt "Home Treatment", das hier "eine von zahlreichen Initiativen" sei, um die kinderpsychiatrische Versorgung in Wien zu verbessern. Dabei werden Kinder und Jugendliche vier Tage pro Woche äquivalent zu einer stationären bzw. tagesklinischen Behandlung zu Hause betreut. Erste Erfahrungen würden zeigen, dass sich die Behandlung in vertrauter Umgebung positiv auswirke. Bisher wurden 20 Kinder und Jugendliche im Rahmen dieses Pilotprojekts behandelt – jeweils zwischen drei und sechs Monaten. Derzeit seien zwei multiprofessionelle Teams im Einsatz, die jeweils fünf Kinder und Jugendliche betreuen. Der Pilot läuft seit einem Jahr. (Gudrun Springer, 29.3.2022)