Patrick Haggerty ist Lavender Country. Sein Debütalbum gilt als erstes schwules Country-Album, mittlerweile wird er dafür beglückwünscht. Das war nicht immer so.

Foto: Don Giovanni Rec.

Natürlich verspürt Patrick Haggerty eine gewisse Genugtuung. Gut 50 Jahre nach Erscheinen seines Debütalbums ist dieses in diversen Auflagen heute stärker nachgefragt denn je – und jetzt erlebt der 2019 erschienene Nachfolger gerade eine Neuauflage im Vinylformat.

Nach seinem Debüt als Country-Musiker stand jedoch ein ganz anderes Leben: Da es mit seiner doch recht speziellen Deutung des Country nichts wurde, verlegte Haggerty sich auf sein zweites Standbein, auf ein Leben als marxistischer Homosexuellenaktivist. Das alleine würde in den USA schon zur Marginalisierung ausreichen, doch Haggerty lebte seine sexuelle Orientierung auch noch im Country aus.

Diese Musik gilt als traditionell bis reaktionär, und so war es absehbar, dass Haggerty mit seinem Debüt unter dem Namen Lavender Country 1973 kein großes Publikum beschieden sein würde, ja, wahrscheinlich war es sogar gesünder für ihn. Ein DJ in Haggertys Heimatstadt Seattle, der sich ein Herz fasste und den Song Cryin’ these Cocksucking Tears im Radio spielte, wurde umgehend gefeuert. Überraschend war auch das nicht.

Marx in der Latzhose

Anfang der 1970er plagte sich das Country-Publikum in den USA gerade damit ab, dass einer seiner erfolgreichsten Protagonisten ein Schwarzer war: Charley Pride. Pride, der 2020 an Covid-19 starb, war ein ehemaliger Baseballstar und sang Country dermaßen gewinnend, dass er in seiner Karriere an die 30 Nummer-eins-Hits hatte und Millionen Alben verkaufte – und das an ein Publikum, das an schlechten Tagen mit Teer und Federn auf seinesgleichen losging. Ein schwuler Cowboy mit Karl Marx als Lektüre in der Latzhose, das ging also zu weit. Und dann auch noch gegen den Krieg in Vietnam protestieren.

Paradise of Bachelors

Es sollte Jahrzehnte dauern, bis sich das änderte. In der Zeit heiratete Haggerty seinen Mann, zog mit ihm zwei Kinder groß und war in der Regionalpolitik von Seattle und der Schwulenbewegung aktiv. Der Musik ging er neben diesen Engagements nur hobbymäßig nach.

Raues Leder

1999 wurde sein verwegenes Debüt Lavender Country erstmals, aber ohne größere mediale Wahrnehmung neu aufgelegt, 2014 folgte eine weitere Wiederveröffentlichung, die ihm eine Renaissance als Musiker bescherte. Vor drei Jahren erschien Blackberry Rose and Other Songs and Sorrows from Lavender Country, das nun in purpurnem Vinyl wieder aufgelegt wurde.

Heute wird er dafür hofiert und zu seinem Mut beglückwünscht, seine Geschichte stolz erzählt. Haggertys Debüt gilt als das erste offen schwule Country-Album der Geschichte. Country speist mit seinen Stereotypen hinsichtlich Cowboys und Jungs in rauem Leder zwar schon lange das Showbusiness, doch dass die tränenfeuchten Verzweiflungssänger an der Bar oder der Rodeo-Macho auf den Bullenrücken schwul sein könnten, das durfte einfach nicht sein.

J L

Tatsächlich ist es ein Phänomen der letzten zehn bis 15 Jahre, dass sich Musikerinnen und Musiker aus dem Umfeld des Country outen. Oft hat die Musik ohnehin nur noch bedingt mit Country zu tun, ist lediglich glattgebügelte US-amerikanische Schlagermusik mit konservativer Schlagseite. Als schwul oder lesbisch geoutet haben sich etwa Brandy Clark, Brandi Carlile und der Nashville-Songwriter Shane McAnally. Nicht selten findet sich in den Medieneinträgen zu solchen Outings der Hinweis, dass die Fans schockiert gewesen seien. Huch.

"Stand on Your Man"

Da will man sich nicht vorstellen, was erst der schwarze schwule "Country-Rapper" Lil Nas X mit seinem Hit Old Town Road der Gemeinde zugemutet hat.

Der mittlerweile 77-jährige Patrick Haggerty sieht den späten Wirbel um seine Person gelassen. In aktuellen Interviews gibt er sich amüsiert über das Bild, das er auf der Bühne abgegeben hat: "Ein Marxist mit Cowboyhut, der schwule Forderungen zur Steel-Guitar von der Bühne deklamiert."

Lavender Country - Topic

Dass er dafür heute Applaus statt in seine Richtung fliegende Flaschen empfängt, wertet er als Fortschritt. Hilfreich ist dabei natürlich Humor, der auf Blackberry Rose … nicht zu kurz kommt: Tammy Wynettes Stand by Your Man wird zu einem feministischen Stand on Your Man. Zudem singt Haggerty Songs wie I Can’t Shake the Stranger out of You oder den gemütlich rumpelnden Gay Bar Blues – und erinnert dabei entfernt an Neil Young und dessen Ausflüge ins Country-Fach. Wer da heute noch vor lauter Empörung vom Ross fliegt, schlägt hoffentlich hart auf. (Karl Fluch, 31.3.2022)