Windräder in Brandenburg.

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Seit dem russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dominiert die Energiepolitik die öffentliche Debatte. Auf den Corona-Schock und den damit einhergehenden starken Anstieg der Energiepreise, die zu Inflationsrekorden in Europa führten, folgte der Gas- und Ölschock. Kein Tag vergeht ohne hitzige Debatten darüber, welche Alternativen Europa überhaupt hat, um die Abhängigkeit von der Öl- und Gasversorgung aus Russland zurückzudrängen.

Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, beschloss die EU neben dem gemeinsamen Gaseinkauf zügig den Bezug von amerikanischem Flüssigerdgas (LNG). Während nationale Entlastungspakete geschnürt werden, gab es in Österreich bereits erste Rufe nach einer Verschiebung der CO2-Bepreisung. In Deutschland wird neuerdings eine Laufzeitverlängerung für die verbliebenen Kernkraftwerke debattiert. Auch Forderungen nach einer raschen und radikaleren Energiewende werden seither laut, ohne die konkrete Durchführbarkeit und die unmittelbar damit verbundenen Kosten auszuweisen. Kurzfristig stellt ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien keine belastbare Lösung dar. Zudem hat die grüne Energiewende ihren Preis – und dieser hat einen Namen, nämlich "Greenflation".

Am Ende zahlt der Konsument

Seit das neue Schlagwort im Umlauf ist, streiten Wirtschaft und Politik über dessen Relevanz und Ausmaß. Während EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Debatte über die "Greenflation" als übertrieben einstuft, da sich die Dekarbonisierung derzeit weniger auf die Preise auswirke würde, warnen Ökonomen und Expertinnen davor, diese bereits nachweisbare Entwicklung zu unterschätzen. Die "Greenflation" ist schließlich ein zusätzlicher inflationstreibender Faktor, und ihre Bedeutung wird in Zukunft noch wachsen. Der STANDARD hat Gespräche mit Fachleuten von Deutsche Bank Research, der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) geführt, um die "Greenflation" näher zu beleuchten.

Obwohl die stark gestiegenen Energiepreise derzeit weniger auf die Klima- und Energiepolitik, sondern hauptsächlich auf den Krieg und die Weltmarktpreise zurückzuführen sind, "werde die Greenflation in den kommenden Jahren strukturell relevanter werden", betont Eric Heymann, Ökonom bei Deutsche Bank Research, im Gespräch mit dem STANDARD.

"Die Klimadebatte wurde bisweilen auch so geführt, dass die Klimawende den Bürger schon nicht so viel kosten wird und keine größeren Veränderungen auf die Konsumenten zukommen würden. Aber es ändert sich natürlich etwas, wenn wir CO2 bepreisen und andere Maßnahmen ergreifen. Das zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette", erklärt Heymann. Der Bevölkerung zu sagen, dass Mobilität teurer wird oder man massiv in das eigene Haus investieren müsste, sei unbequem und politisch "nicht gerade opportun". Auch die Debatte darüber, wer am Ende den Preis für eine ambitionierte Klimapolitik zahlt, sieht Heymann kritisch. Teilweise würden die Kosten kurzfristig von Unternehmen und ihren Aktionären übernommen. Letztlich würden die Kosten aber immer an die Konsumenten weitergegeben.

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Heliostatspiegel des Sonnenwärmekraftwerks Ivanpah in der Mojave-Wüste.
Foto: REUTERS/Bing Guan

Problematisch bei hoher Grundinflation

Den "inflationstreibenden Effekt aus der Klimapolitik" wird heuer "jeder im Geldbörserl merken", sagt Andreas Breitenfellner, Ökonom der OeNB, im STANDARD-Gespräch. Die Auswirkungen der Pandemie und des Krieges würden im Vergleich dazu natürlich viel stärker treiben. Etwas überrascht habe ihn trotzdem, wie plötzlich und deutlich die "Greenflation" in Erscheinung getreten sei, da die Annahme war, dass die Preise jedes Jahr "ein bisschen ansteigen" würden. Berechnungen des Forschungsteams der OeNB zufolge wird die "Greenflation" in Österreich in diesem Jahr "wenige Zehntelprozentpunkte" zur Inflationsrate beitragen. Allein der nationale CO2-Preis, der Mitte des Jahres in Österreich eingeführt werden soll, steuere vermutlich direkt 0,15 Prozent bei. Hinzu kommt der CO2-Preis des europäischen Emissionshandels (EU ETS), der schätzungsweise "in ähnlicher Größenordnung wirken kann".

Laut Schätzungen der Deutschen Bundesbank beläuft sich der Anteil der "Greenflation" an der diesjährigen Inflationsrate Deutschlands hingegen auf etwa 0,5 Prozentpunkte. Es gibt jedoch auch Volkswirte, die von Auswirkungen im Ausmaß von einem ganzen Prozentpunkt auf die Inflationsrate ausgehen, da gewisse indirekte Effekte schwer einzupreisen sind.

Ob die "Greenflation" in Zukunft problematisch wird, hängt laut Breitenfellner auch von der Grundinflation ab: "Wenn die Inflationsrate bereits hoch ist, dann ist jeder Zehntelprozentpunkt natürlich ärgerlich – da verstehe ich die Konsumenten." Volkswirte und Expertinnen rechnen damit, dass uns die "Greenflation" über die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre erhalten bleibt, da sie ein Begleitprozess der Transformation in Richtung kohlenstoffarme Wirtschaft ist.

Kurzfristig alternativlos

Grundsätzlich betrifft die "Greenflation" die Preise direkt sowie indirekt über die verschiedensten Kanäle. Einerseits sind das die nationale CO2-Bepreisung und der europäische Emissionshandel. Im Fall von Deutschland wirken sich diese auch auf die Stromerzeugung aus, da circa 43 Prozent der Produktion auf Kohle und Erdgas basieren. "In vielen Fällen können diese höheren Energiepreise kurzfristig auch kaum vermieden werden, wenn man beispielsweise ein Haus mit einer Gas- oder Ölheizung beheizt. Wird der Preis für CO2 erhöht, bauen Sie nicht von heute auf morgen ihre Heizung um, sondern haben vorerst diese Kosten zu tragen", führt Heymann aus.

Zum anderen betrifft die "Greenflation" die Konsumenten über schwer quantifizierbare Ordnungsmaßnahmen, beispielsweise Verbote, Gebote, Quoten und Grenzwerte. Werden Technologien, die man als klimaschädlich einstuft, vom Markt genommen, steigt der Preis aufgrund des reduzierten Angebots. Andere Beispiele sind die Subventionierung von Hausrenovierungen, der Austausch von Heizungsanlagen oder die Elektromobilität. Sind die Subventionen groß genug, wird "in aller Regel die Nachfrage nach diesen Gütern und Dienstleistungen schneller steigen als das Angebot", sagt Heymann.

Jahrzehnte entfernt

In seiner aktuellen Studie kommt Heymann zu dem Schluss, dass es realistisch betrachtet noch "Jahrzehnte dauern wird, bis in allen Bereichen erneuerbare Energien und synthetische Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Energien die Energieversorgung vollständig übernommen haben". Die erneuerbaren Energien seien insgesamt immer noch teurer, da die verschiedenen Unregelmäßigkeiten der Sonne und des Windes durch Speicherkapazitäten, Back-ups und neue Netze ausgeglichen werden müssen. Zudem gebe es die dafür notwendigen kostengünstigen und im großindustriellen Maßstab verfügbaren Speicherkapazitäten noch nicht. Erdgas als Brückentechnologie Deutschlands werde außerdem wohl "länger als Brücke" herhalten müssen, als viele derzeit erwarten.

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Die Glen-Canyon-Staumauer am Lake Powell. Aufgrund einer schweren Dürre ist der Wasserstand des Stausees zurzeit auf dem historisch niedrigsten Stand seit der See 1963 durch das Aufstauen des Colorado River geschaffen wurde.
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Klimawende vs. Klimawandel

Das Phänomen der "Greenflation" sollte man dabei nie isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang mit dem gedanklichen Gegenstück, der sogenannten "Greyflation", betont Breitenfellner. Der Klimawandel selbst hat inflationäre Effekte, wenn man die Auswirkungen von Dürren, Ernteausfällen und Sturmschäden in Betracht zieht. Ein langfristiger Vergleich der Kosten beider Effekte würde zeigen, dass es immer noch besser ist, Klimapolitik zu betreiben.

Irene Heemskerk, Chefin des Klimawandelzentrums der EZB, bekräftigt gegenüber dem STANDARD, dass die Datenlage diese Schlussfolgerung untermauere. "Die makroökonomischen Auswirkungen eines ungebremsten Klimawandels, einschließlich potenzieller Effekte auf die Preisstabilität, wären sehr viel schwerwiegender als die potenziellen Auswirkungen der grünen Wende", argumentiert Heemskerk.

Xis Enkel

Die Notenbanken sind sich einig, dass man die sozialen Auswirkungen der Energiepreisinflation am besten dadurch abfedert, dass man ärmere Haushalte direkt kompensiert. Das Aussetzen der Klimapolitik würde falsche Signale senden.

Die Kosten des Klimawandels werden "viel gigantischer" sein als die durch die "Greenflation" verursachten Kosten, ist sich Breitenfellner sicher. "Vielleicht noch nicht in den nächsten dreißig Jahren, aber danach für die nächsten Generationen. An die müssen wir schließlich auch denken." Sogar China verfolge eine grüne Agenda, resümiert er, denn "auch Xi Jinping macht sich Sorgen um seine Enkerln – muss er ja auch". (Kiyoko Metzler, 6.4.2022)