Schanghai – Ralph Koppitz wartet auf den Lockdown in seinem Compound in Schanghai. Der Rechtsanwalt lebt seit über 20 Jahren in der Stadt. Seit zwei Jahren beraten seine Frau und er mit ihrer Firma Linie internationale Unternehmen unter anderem dabei, wie sie am effizientesten ausländische Mitarbeiter ins Land bringen können. Daran ist derzeit kaum zu denken.

Seit einigen Tagen ist die Wirtschaftsmetropole Schanghai mit ihren 26 Millionen Einwohnern neben der nördlichen Provinz Jilin zu einem Hotspot von Omikron-Neuinfektionen geworden. Die Regierung reagiert darauf wie seit zwei Jahren mit derselben Methode: dem Holzhammer. Seit Montag gelten im Ostteil der Stadt, Pudong, strikte Ausgangssperren. Nebenbei sollen alle Bewohner zweimal getestet werden. Wer ein positives Ergebnis hat, wird in eine "zentrale Quarantänestelle" abtransportiert: Bettenlager mit mehreren Tausend Menschen. Ab Freitag ist dann der Westteil der Stadt dran.

Belastende Situation

Die Lage ist nicht nur für die Bewohner der Stadt extrem belastend. Sie hat auch wirtschaftliche Auswirkungen: Viele Unternehmen haben durch die Lockdowns mit Produktionsausfällen zu kämpfen. Manche Fabriken, darunter auch die großer Autohersteller, stehen still. Ein allgemeines Muster aber gibt es nicht. "Jeder Bezirk handhabt das anders", sagt Koppitz. "So sind Reisen innerhalb Chinas, selbst eine Autofahrt von Schanghai ins 50 Kilometer entfernte Taicang, unmöglich geworden, weil immer eine 14-tägige Quarantäne droht."

In China steigen die Omikron-Infektionszahlen massiv, die Regierung ändert seit zwei Jahren nichts an ihrer Vorgangsweise.
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Das wiederum wirkt sich auf den Güterverkehr aus. Wichtige Waren können nicht transportiert werden. Angeblich werden sogar Güter unter Quarantäne gestellt und auf das Virus getestet. Für manche, die im Logistikbereich arbeiten, sei das die Hölle, sagt Koppitz. "Da operieren einige permanent im Krisenmodus."

Bei vielen europäischen Unternehmen ist die Lage derzeit hochangespannt. Auch Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer, ist besorgt: "Das passiert gerade in der urbansten und am besten entwickelten Stadt des Landes. Was im Rest des Landes vor sich geht, wissen wir gar nicht."

Firmengelände als Schlafplatz

Viele Unternehmen greifen auf ein "Closed Loop"-System zurück: Mitarbeiter arbeiten und schlafen für mehrere Wochen auf dem Firmengelände. Bei mehreren europäischen Unternehmen in Schanghai habe man 10.000 Schlafsäcke und Isomatten bereitgestellt, Köche für eine Woche durchgehend verpflichtet. In der Provinz Jilin in Nordchina haben Firmenmitarbeiter das Gelände seit drei Wochen nicht verlassen. "Das ist natürlich ein Riesenaufwand", sagt Wuttke. "Immerhin kann man so die Produktion aufrechterhalten. Das Problem ist nur: Was ist, wenn der Kunde dichtmacht? Dann muss man die Lager auffüllen."

Auch personell wird es langsam dünn bei den internationalen Unternehmen in China: Viele wollen sich das "Abenteuer China" unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr antun.

Expats haben genug

Die Zahl der Expats nimmt konstant ab. Oft bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als die Stellen mit chinesischen Mitarbeitern nachzubesetzen. "Das mag oft gut passen, mittel- bis langfristig ist es aber nicht die beste Lösung", sagt Koppitz. "Eine gute Anbindung an das Mutterhaus ist eben auch wichtig."

Rigoros wird zugesperrt. Viele wollen sich das "Abenteuer China" unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr antun.
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Die Zahl an Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in China sind im März erstmals seit dem Corona-Ausbruch vor zwei Jahren gleichzeitig geschrumpft.

Wachsende Unzufriedenheit

Berater Koppitz hofft, dass die Regierung bald von der Zero-Covid-Strategie abrückt. "Man spürt auch, dass die Unzufriedenheit im Volk wächst. Am Anfang hatten viele Verständnis für die rigorosen Maßnahmen, mittlerweile aber schwindet das."

Bisher aber macht die Regierung in Peking keine Anstalten, von der Zero-Covid-Strategie abzurücken. Am Donnerstag erst veröffentlichte die Stadtverwaltung von Schanghai eine Durchhalteparole. Bald werde der Frühling in Schanghai so schön werden wie immer. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 1.4.2022)