Ukraine-Vertriebene – vor allem Frauen mit Kindern – sollen mehr als üblich für ihr Leben in Österreich dazuverdienen dürfen. Darüber ist jetzt ein politischer Streit entbrannt

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Es ist mehr als eine schlichte Meinungsverschiedenheit zwischen dem Innenministerium und dem Bundesland Kärnten. Es geht um eine Erhöhung der Zuverdienstgrenzen für Vertriebene und darum, ob eine Population an Flüchtlingen bessergestellt werden soll oder nicht.

Nach dem Treffen mit den Flüchtlingsreferenten der Länder resümierte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dass die Unterstützung für privat untergebrachte Geflohene und Vertriebene in der Grundversorgung angehoben werde. Konkret soll der Betrag um 60 Euro auf 180 Euro pro Person erhöht werden. Wobei diese Summe für jene zur Verfügung steht, die keine staatlich organisierte Unterkunft in Anspruch nehmen.

Diese Erhöhung gilt für alle Gruppen in der Grundversorgung – also auch für Asylwerber. Zudem kündigte Karner an, dass aus der Ukraine Vertriebene statt wie bisher 110 Euro pro Monat 485 Euro zusätzlich durch eine Arbeit dazu verdienen können. Aber hier spießt es sich, denn Kärnten ist damit nicht einverstanden, dass unterschiedliche Gruppen von Geflohenen unterschiedlich behandelt werden. Die im Land für die Flüchtlingsfragen zuständige Landesrätin Sara Schaar (SPÖ) will eine Erhöhung der Zuverdienstgrenze auch anderen Hilfsbedürftigen in der Grundversorgung zugutekommen lassen.

Kärnten gegen zwei Klassen von Flüchtlingen

Im Bund-Länder-Koordinationsrat wird die Sache Anfang Mai nun nachverhandelt. Damit liegt die geplante Erhöhung vorerst auf Eis. Landesrätin Schaar wehrt sich aber dagegen, dass die Schuld auf Kärnten abgewälzt werde. Die Konferenz habe ohnehin nur Empfehlungs-, aber keine Beschlusskompetenz. Der Innenminister könne jederzeit im Rahmen seiner Möglichkeiten handeln.

In der Vergangenheit hat es immer wieder einstimmige Beschlüsse der Bundesländer gegeben, die dann jedoch auf Bundesebene nicht umgesetzt worden seien. Alleingänge des Bundes seien keine Seltenheit gewesen, oft genug sei schon über die Köpfe der Bundesländervertreter hinweg entschieden worden, sagt Schaar. Es müsse grundsätzlich darum gehen, "den Menschen die Möglichkeit zu geben, wieder selbst Fuß zu fassen. Und das soll für alle Vertriebenen und Geflüchteten gelten."

Schaar plädiert für eine "gesamtheitlich koordinierte Änderung der Systematik der Zuverdienstgrenzen", um dem Gleichheitsgrundsatz zu entsprechen. "Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, ungerecht behandelt zu werden. Kärnten wird jedenfalls einer Entscheidung zustimmen, die gesetzeskonform ist und den Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt", sagt Schaar im Gespräch mit dem STANDARD.

"Inaktivitätsfalle"

AMS-Chef Johannes Kopf hält die geplante Erhöhung der Zuverdienstgrenze zwar für einen "gut gemeinten", aber "nicht ausreichend durchdachten" Vorschlag. Aus der Ukraine kämen in erster Linie Frauen und Kinder nach Österreich. Wenn nur ein Euro über der Zuverdienstgrenze verdient werde, werde die Grundversorgung gestrichen.

Eine Arbeitsaufnahme lohne sich daher erst bei einem hohen Nettoeinkommen – das viele Frauen nicht erreichen würden, da sie wegen der Kinderbetreuung nur Teilzeit arbeiten könnten. Kopf nennt es auf Twitter eine "Inaktivitätsfalle".

Flüchtlingskoordinator Michael Takács legte indessen am Donnerstag eine Zwischenbilanz vor: Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine seien bislang etwa 231.600 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Österreich gekommen, mehr als 80 Prozent aber in andere Länder weitergereist.

Rund 42.000 Ankommende wurden bisher in Österreich registriert, sie erhalten damit einen Vertriebenenstatus.

Zusätzlich zu den Ankunftszentren und Unterkünften von Bund und Ländern wurden bisher mehr als 46.000 private Unterkunftsplätze "eingemeldet", sagte Takács.

Das bedeute, dass derzeit alle geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer, die bisher in Österreich angekommen sind, auch "ein Dach über dem Kopf und eine Versorgung haben", sagt der Flüchtlingskoordinator. (Walter Müller, 1.4.2022)