Im Gastblog analysiert die Juristin Andreea Muresan ein OGH-Urteil über die Frage, ob Überwachung Psychoterror und damit eine einstweilige Verfügung rechtmäßig ist.

Gewaltanwendung zwischen Ehegatten stellt grundsätzlich einen Scheidungsgrund dar. Daher kann man sich selbstverständlich in einer solchen Situation scheiden lassen. Zu beachten ist jedoch, dass selbst eine einvernehmliche Scheidung – die noch als das kürzeste Scheidungsverfahren gilt – zu lange dauern könnte und manchmal nicht schnell genug die erforderliche Hilfe liefern kann. Dies trifft umso mehr auf eine streitige Scheidung vor Gericht zu.

Gerade dann, wenn einer der beiden Ehegatten nicht bereit ist, sich scheiden zu lassen oder aus der gemeinsamen Ehewohnung auszuziehen, und sich dadurch eine dauernde Spannung in der Familie – und in der gemeinsamen Wohnung – aufbaut, kann zum einen die Wegweisung durch die Polizei (§ 38a SPG) und zum anderen die einstweilige Verfügung als schnellere Lösung in Betracht gezogen werden.

Was versteht man darunter?

Die sogenannte Wegweisung wird von der Polizei bei unmittelbar bevorstehenden beziehungsweise tatsächlichen gefährlichen Angriffen auf das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit einer Person ausgesprochen. In der Regel wird der Angreifer aus der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung verwiesen und ihm das (Wieder-)Betreten verboten. Dem Weggewiesenen können auch die Schlüssel zur Wohnung weggenommen werden, damit ein (Wieder-)Betreten der Wohnung erschwert wird. Ein polizeiliches Betretungsverbot gilt für die Dauer von zwei Wochen.

Die gefährdete Person wird in der Regel von der Polizei gleich über die Möglichkeit der Beantragung einer einstweiligen Verfügung informiert.

Die einstweilige Verfügung ist eine vorläufige gerichtliche Maßnahme, die sicherstellt, dass der gerichtliche Rechtsschutz nicht zu spät kommt. Eine solche Maßnahme kann nur dann angeordnet werden, wenn der Antragsteller bescheinigt (das heißt, auf eine plausible Art und Weise glaubhaft macht), dass es einen rechtlichen Anspruch und eine Gefahr gibt.

Einstweilige Verfügung

Auch für Gewalt in der Wohnung ist eine solche einstweilige Verfügung in der Exekutionsordnung (§ 382b) ausdrücklich vorgesehen. Notwendig ist hierfür die Behauptung, dass das weitere Zusammenleben zwischen den betroffenen Personen aufgrund eines körperlichen Angriffs, einer Drohung mit einem solchen oder eines die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhaltens unzumutbar geworden ist und dass die betroffene Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.

Klar ist daher, dass eine solche einstweilige Verfügung nicht nur aufgrund eines körperlichen Angriffs (zum Beispiel schwere oder wiederholte Misshandlungen durch den Partner) erlassen werden kann, sondern auch dann, wenn psychische Gewalt ausgeübt wird, die das Leben, die körperliche oder seelische Gesundheit, die Freiheit, die Ehre oder in größerem Ausmaß das Vermögen ernstlich bedroht und deshalb umgehend geändert werden muss. Eine psychische Beeinträchtigung ist dann relevant, wenn sie dauernde Gesundheitsschäden nach sich zieht.

Kann es zu gefährlichen Angriffen auf das Leben kommen, spricht die Polizei eine Wegweisung aus.
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Entscheidung des OGH

Auch der Oberste Gerichtshof hat sich unter anderem im Jahr 2017 dazu geäußert, welche Erheblichkeitsschwelle "Psychoterror" erreichen muss, um dagegen mit einer einstweiligen Verfügung vorgehen zu können. Dieser Entscheidung (OGH 7 Ob 151/17g vom 18.10.2017) stand folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Antragstellerin und der Antragsgegner waren miteinander verheiratet und wohnten in derselben Wohnung mit ihren beiden minderjährigen Kindern. Die Parteien führten sowohl ein Scheidungsverfahren als auch ein Pflegschaftsverfahren zur Aufhebung der gemeinsamen Obsorge. Unter anderem erhob die Antragstellerin folgende Vorwürfe gegen den Antragsgegner: Dieser habe im März 2017 in der Küche der gemeinsamen Wohnung ohne Wissen der Antragstellerin ein Handy als Aufnahmegerät eingerichtet und damit unter anderem Gespräche der Antragstellerin mit ihrer Mutter und ihrem Rechtsvertreter aufgenommen. Der Antragsgegner habe sich Zugang zum Handy der Antragstellerin verschafft und habe die Whatsapp-Kommunikation der Antragstellerin mit einem näher bezeichneten Mann und mit ihrer Mutter fotografiert und kopiert. Der Antragsgegner habe sich weiters (zum Zweck des Nachweises eines Drogenkonsums der Antragstellerin) Haarproben von einer Haarbürste der Antragstellerin beschafft und die Haare in einem forensisch-toxikologischen Labor im Frühjahr 2017 auswerten lassen.

Die Antragstellerin behauptete, dass sie sich in der gemeinsamen Wohnung ständig beobachtet fühle und in der Angst lebe, dass jedes Wort, welches sie in der Ehewohnung zu wem auch immer spricht, wieder vom Antragsgegner aufgezeichnet werden würde. Sie leide deswegen an Schlafstörungen, Schwitzen in der Nacht und Herzrasen. Aus diesem Grund beantragte sie die einstweilige Verfügung, wonach dem Antragsgegner das Verlassen der Wohnung aufgetragen und die Rückkehr in diese verboten werden sollen.

Sowohl das Erstgericht als auch das Rekursgericht teilten die Ansicht, dass die von der Antragstellerin dargestellten Ereignisse die für die Annahme von Psychoterror erforderliche Erheblichkeitsschwelle "gerade noch nicht überschreiten"; dies vor allem, weil die psychische Gesundheit der Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners noch keinen Schaden genommen habe und das Rekursgericht nicht davon ausgehe, dass der Antragsgegner die Antragstellerin weiterhin überwachen und abhören werde. Der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung wurde daher abgewiesen.

Welche Aspekte hat der OGH bei seiner Entscheidung berücksichtigt?

Der OGH bestätigte hingegen nicht die Ansichten der ersten zwei Instanzen, sondern erachtete den Revisionsrekurs der Antragstellerin als berechtigt.

Der OGH stellte klar, dass die Beurteilung der Unzumutbarkeit des Zusammenlebens verschuldensunabhängig ist. Es kommt auf die Auswirkungen des bescheinigten Verhaltens und nicht auf das Unrechtsbewusstsein oder die Absichten des Antragsgegners an. "Psychoterror" ist daher nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen; von Bedeutung ist nicht ein Verhalten, das der Durchschnittsmensch als "Psychoterror" empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der Antragstellerin. Zwar kann die subjektive Auslegung des Begriffs "Psychoterror" nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründet. Allerdings spricht die Glaubhaftmachung einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung für eine Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens der Parteien.

Laut dem OGH muss die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung noch keine solche Unzumutbarkeit sein. Im konkreten Fall beging der Antragsgegner jedoch – durch das Überwachen und Ausspionieren der Telefonkontakte der Antragstellerin und seine "Beweismittelbeschaffungen" – schwerwiegende Vertrauensbrüche und unerträgliche Eingriffe in die Privatsphäre der Antragstellerin. Solche Übergriffe müssen auch in einem anhängigen Scheidungsverfahren nicht hingenommen werden. Daran ändert auch die Tatsache, dass die Parteien außerhalb der Ehewohnung einzelne (bloß stundenweise) Kontakte mit ihren Kindern ohne offene Konflikte absolvieren konnten, nichts.

Wichtig bei der Erlassung einer einstweiligen Verfügung wegen Psychoterrors ist daher zu überprüfen, wie sich das Verhalten des Schädigers auf den Geschädigten subjektiv auswirkt und welche gesundheitlichen Folgen eingetreten sind beziehungsweise noch eintreten könnten. (Andreea Muresan, 1.4.2022)