Selbstbewusst ging Isolde Maria Joham (89) ihren künstlerischen Weg, für den sie nun spät aber doch Anerkennung erfährt.

Foto: Stefan Sappert

Als erste Reaktion auf die Bilder Isolde Maria Johams wird so manchen Besucherinnen und Besuchern der Landesgalerie Niederösterreich ein "Oh!", "Ah!", ein "Was?" oder gar ein "Bumsti!" über die Lippen kommen. Jedenfalls irgendeine Form von erstauntem Ausruf. Es ist Kunst, die so richtig auf einen hereinbricht, Widerstand zwecklos. Allein die schiere Größe dieser Bilder, die bunten Farben, die vielen Bildinformationen halten das Auge auf Trab: glänzende Teile von Motorrädern, umwuchert von Blüten, Kraniche, die auf Müllhalden Futter suchen, dystopische Roboter, kitschige Manga- und Animewesen, Sci-Fi, grausame Tierversuche, eine Rinderherde, die über die Brooklyn Bridge auf die Betrachtenden zurast.

Johams Werke holen den Kampf zwischen menschgemachter Technik und Natur mit einer dringlichen, aber nicht moralisierenden Wucht ins Bild, die Assoziationen zu aktuellen Themen wie der Klimakatastrophe oder künstlicher Intelligenz aufkommen lässt, obwohl viele bereits in den 70er oder 80ern entstanden sind. So kommt die umfassende Kremser Personale auch zu ihrem Untertitel: "Eine Visionärin neu entdeckt".

Reaktoren, Kernkraftwerke, Solarpaneele, Tierversuche in "Eine Frage der Energie" (1982) – Isolde Maria Joham beschäftigte sich in ihrem Œuvre viel damit, auf wessen Kosten technischer Fortschritt geht, von dem sie gleichzeitig fasziniert war.
Foto: Landessammlungen Niederösterreich

Den Kanon korrigieren

Stellt sich die Frage, wieso diese originelle Kunst so lange übersehen werden konnte? In keinem der gängigen Kompendien über österreichische Nachkriegskunst komme Joham vor, schreibt Gerda Ridler im Katalog zur großen Personale, die die Landesgalerie Niederösterreich der gebürtigen Steirerin, die dieses Jahr 90 wird, nun ausrichtet. Es ist die erste Ausstellung, für die Ridler, die im Jänner 2022 den Gründungsdirektor Christian Bauer der Landesgalerie abgelöst hat, verantwortlich zeichnet. Damit ist sie programmatisch.

Der Grund, warum Joham es nicht in den Kanon geschafft hat, ist so bekannt wie trivial. Genauso wie vielen anderen weiblichen Kunstschaffenden ihrer Generation blieb ihr der Eingang in eine von Männern dominierte Geschichtsschreibung verwehrt. Dazu kommt, dass Johams tendenziell hyperrealistische Werke nicht so recht zu den Strömungen der österreichischen Nachkriegskunst passen wollten. Ihr Alleinstellungsmerkmal wurde ihr zumindest hierzulande zum Hindernis. Wie stimmig, dass sie eine ihrer frühen Serien als "Ufo-Landschaften" bezeichnet, war sie doch selbst eine Art Alien in der österreichischen Kunstszene. Etwas besser, was den Erfolg betrifft, lief es für Joham, die mit ihrem Mann, dem Bildhauer Gottfried Höllwarth, gerne nach Asien reiste, ebendort. Seit den 2010ern war sie in mehreren großen Ausstellungen in Korea und China vertreten.

Die Arbeit "Cool" (2004) bezieht auch Pikachu ein.
Foto: Christoph Fuchs

Gläserne Kunst, gläserne Decke

Isolde Maria Joham malte zwar, seit sie es eben konnte, so richtig fokussierte sie sich aber erst im Alter von 40 Jahren auf das Medium – dann aber gleich mit Wumms. Mit den monumentalen Formaten hatte die zierliche Frau kein Problem, hatte sie doch bereits reichlich Erfahrung in der Herstellung überlebensgroßer Mosaike gesammelt. Denn bevor Joham ins Zweidimensionale wechselte, hatte sie sich intensiv mit den diversen Facetten von Glas auseinandergesetzt, wurde 1972 auch Professorin für Glaskunst an der heutigen Universität für angewandte Kunst.

Entwurf für das Glasmosaik, das man immer noch im Wiener Lorenz-Böhler-Krankenhaus bewundern kann.
Foto: Christoph Fuchs

Drei Glasfenster in der Säulenhalle des Mak stammen von ihr, das schwer psychedelische Glasmosaik Die Sonne im Wiener Lorenz-Böhler-Krankenhaus sowie zahlreiche Arbeiten in sakralen Bauten (sehr funky: die Fenster in der Wiener Don-Bosco-Kirche). Die Personale in Krems streift dieses wichtige Kapitel in Johams Leben in einem kleinen, aber sehr eindrucksvollen Raum. Allein im Bereich der Glaskunst stellte die versatile Macherin so unterschiedliche Werke her (strenge Mathematik trifft auf Flower-Power), dass sie nicht aus derselben Hand zu sein scheinen.

Eine Glasarbeit von 1976 aus dem Besitz der Künstlerin.
Foto: Gottfried Höllwarth

Die Ausstellung, die sich über das renovierte Untergeschoß der Landesgalerie erstreckt, ist klassisch gehalten: chronologischer Aufbau, griffige Wandtexte, kein Firlefanz. Den braucht es hier auch nicht, sind Johams Werke ohnehin schon einnehmend genug. In einem extra für die Ausstellung angefertigten Film, Bildwerden, von Christiana Perschon ist die Künstlerin auch selbst präsent. In der kurzen Dokumentation sieht man Joham, die vor fünf Jahren zu malen aufgehört hat, vor ihren Großformaten auf ihre Malerleiter steigen.

Sie hat dabei sichtlich Mühe, aber gibt nicht auf. Man kann nicht umhin, die Leiter auch als Karriereleiter zu lesen: 90 Jahre musste die Glaspionierin alt werden, um die berühmte gläserne Decke zumindest zu erreichen. Möge die Wertschätzung, die ihrem Werk gerade zu Teil wird, noch lange anhalten. (Amira Ben Saoud, 2.4.2022)