Vergangene Woche traten die Delegationen – links Russland, rechts die Ukraine – unter der Ägide des türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan in Istanbul zusammen.

Foto: APF/Turkish Presidency Office/Muhurdar

Unmittelbar nachdem am 24. Februar die ersten russischen Raketen in der Ukraine einschlugen und die Panzer mit dem Z-Symbol die Grenze überschritten, begann man in Kiew damit, sich auf Verhandlungen mit einem Feind vorzubereiten, der noch kurz zuvor jegliche Invasionsabsicht strikt verneint hatte. Fünfeinhalb Wochen, tausende Tote, eine in Trümmer geschossene Infrastruktur und einen ins Stocken geratenen russischen Vormarsch später ist ein Waffenstilland weiter nicht in Sicht. Während die Ukraine auf ein Gipfeltreffen Wolodymyr Selenskyjs mit Russlands Präsident Wladimir Putin drängt, besteht der Kreml darauf, erst alle offenen Punkte zu klären, bevor sich Putin in die Regierungsmaschine setzt und – so die Gerüchte – in der Türkei auf seinen Widersacher trifft.

Bis es so weit ist, dürfte aber noch einiges an Zeit vergehen – und die Zivilbevölkerung in der Ukraine weiter leiden, auch wenn am Montag die Gespräche fortgesetzt werden. DER STANDARD hat die wichtigsten Verhandlungspositionen zusammengefasst:

  • Krim und Donbass: Am Sonntag dämpfte der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski die von Kiew geäußerte Hoffnung, dass es nun schon bald zum großen Gipfeltreffen Selenskyjs mit Putin kommt. Die Position Russlands hinsichtlich der besetzten Gebiete Krim – die Halbinsel wurde schon 2014 von Russland annektiert – und Donbass – hier hat Moskau im Prolog des Krieges die Separatistengebiete rund um Donezk und Luhansk als unabhängig anerkannt – sei "unverändert". Die Ukraine hatte zuletzt angeboten, den De-facto-Status der Krim vorerst zu akzeptieren und erst in 15 Jahren wieder darüber verhandeln zu wollen – im Tausch gegen ein Ende der russischen Angriffe. Und auch in Sachen Donbass hatte Selenskyj unlängst sanftere Töne angeschlagen: Kiew wäre schon zufrieden, würde sich Russland in die Separatistengebiete zurückziehen: "Wir verstehen, dass wir nicht das ganze Gebiet vollständig befreien können." Moskau dürfte das nicht reichen. Dass die russischen Truppen nun – unter hohem Blutzoll unter der Bevölkerung – die Region Kiew in Richtung Osten und Süden räumen, könnte aber damit in Zusammenhang stehen.

  • Neutralität: Auch bei jenem Punkt, der laut russischer Propaganda ein Hauptgrund für die "Spezialoperation" in der Ukraine ist, dem angeblich drohenden Nato-Beitritt Kiews nämlich, hat Kiew nach den Worten des russischen Verhandlungsführers Medinski bereits harten Kompromissen zugestimmt. Die Ukraine werde neutral, wolle keinem Militärbündnis mehr beitreten, strebe keine Atomwaffen an und beherberge auch keine ausländischen Militärbasen. Man nehme zur Kenntnis, dass sich Selenskyj langsam eine "realistischere Einschätzung" der Lage zu eigen mache, kommentierte der Kreml süffisant. Fest steht, dass Kiew Sicherheitsgarantien verlangt. Diese sollen von Russland kommen, aber auch von westlichen Staaten. Details dazu wären wohl Gegenstand separater Verhandlungen.

  • Demilitarisierung Seit einem Jahrzehnt schon beklagt Moskau immer wieder, sich – und seine Verbündeten im Donbass – von der Ukraine militärisch bedroht zu fühlen. Kiew bereite gar einen "Genozid" an Russischsprachigen in der Ostukraine vor, wiederholte Putin vor Kriegsbeginn immer wieder. Auch vor ukrainischen Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen warnt der Kreml seit langem. Was genau mit "Demilitarisierung" gemeint ist, lässt aber auch Moskau offen. Außenminister Sergej Lawrow erklärte, Kiew müsse jedenfalls auf gewisse, zur Offensive geeignete Waffensysteme verzichten. Die Angriffe der russischen Truppen etwa auf Munitions- und Treibstofflager haben die Entwaffnung der Ukraine ohnehin faktisch in die Wege geleitet, allerdings liefert der Westen postwendend Material an die ukrainische Armee. (Florian Niederndorfer, 3.4.2022)