Experimentalphysikerin Birgitta Schultze-Bernhardt erklärt im Gastblog, warum man besonders kurze Lichtblitze für molekulare Schnappschüsse braucht.

Kolibris bei ihrer Navigation zu beobachten ist faszinierend, denn sie bewegen ihre Flügel mit einem lauten Brummen auffallend schnell. Dabei können sie geschickt nicht nur schnell vorwärts, sondern auch rückwärts und seitwärts fliegen. Möchte man diese hübschen Vögel fotografieren, spielt die Belichtungszeit der Aufnahme eine kritische Rolle. Ist die Belichtungszeit zu lang, verwischen die Bewegungen, die Flügel sind unscharf. Wenn die Belichtungszeit aber entsprechend kurz gewählt ist, kann man die Position der Flügel zu einem bestimmten Zeitpunkt genau festhalten. Eine schnelle Abfolge solcher kurz belichteter Fotos ermöglicht dann sogar ein Video des Flügelschlags in Zeitlupe. Das ist sehr praktisch, denn die schnelle Bewegung ist für unser Auge und Gehirn viel zu schnell, um sie in Echtzeit beobachten beziehungsweise auflösen zu können.

Foto: Schultze-Bernhardt
Bei der Aufnahme schneller Bewegungen ist die Belichtungszeit entscheidend. Oben die Aufnahme eines Kolibris mit einer Belichtungszeit von 1,3 Millisekunden, unten mit 0,4 Millisekunden.
Foto: Schultze-Bernhardt

0,000.000.000.000.001 Sekunden

Belichtungszeiten spielen auch bei uns im Laserlabor, wo wir noch viel schnellere Prozesse untersuchen als den Flügelschlag der Kolibris, eine wesentliche Rolle. Wenn Licht mit Materie wechselwirkt, dann kann das Licht auf unterschiedliche Weise mit den Atomen und Molekülen, aus denen die Materie in festem, flüssigem oder gasförmigem Zustand besteht, interagieren. Insbesondere kann das Licht Gasmoleküle in charakteristische Schwingungen oder Rotationen versetzen, die für jede Art von Gasmolekül einzigartig sind, oder sogar Teile seiner Energie an die darin befindlichen Elektronen abgeben.

Dies kann wiederum sehr schnelle physikalische Prozesse oder chemische Reaktionen in Gang setzen, bei deren Aufnahme mein Fotoapparat hoffnungslos überfordert wäre – seine Auflösung ist viel zu klein. Denn natürlich sind nicht nur seine eigentlich stolzen 17,9 Megapixel nicht geeignet, um einzelne Moleküle aufnehmen zu können, auch die Dauer seines Blitzes und seine Verschlusszeiten sind viel zu lahm, um die schnellen Bewegungen der Elektronen festzuhalten. Diese ändern ihren "Ort", genauer: ihren Zustand, nämlich zum Teil in nur wenigen Femtosekunden. Eine Femtosekunde ist ein Millionstel von einem Milliardstel einer Sekunde – oder einfacher in Zahlen ausgedrückt 0,000.000.000.000.001 Sekunden oder 10-15 Sekunden.

Gaskonzentrationen nachweisen

Unsere Laser sind aus mehreren Gründen besser als das typische Blitzlicht eines Fotoapparates. Wir können unser Laserlicht genau so herstellen, wie wir es brauchen: die Lichtstärke, die Geometrie und damit die Richtung und den Wechselwirkungsbereich unserer Laserlichtstrahlung sowie die Farbanteile, die wir benutzen möchten – und unsere Laser können darüber hinaus auch die ultrakurzen Lichtimpulse erzeugen, die es für einen Schnappschuss auf der Femtosekundenskala braucht. Noch dazu sind unsere Laser besonders stabil, sodass wir auch sehr lange Messungen unter konstanten Bedingungen durchführen können. Damit können wir auch sehr schwache Effekte durch langes Mitteln der Daten beobachten oder sehr geringe Gaskonzentrationen nachweisen: sogenannte Spurengase.

Das für uns wohl wichtigste Beispiel einer komplexen Gasmischung mit extrem unterschiedlichen Teilkonzentrationen ist unsere Erdatmosphäre. Egal ob Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoffdioxid, alle Stickoxidvarianten oder schwächer vertretene Gase wie Formaldehyd, absorbieren Licht auf individuelle Art, sodass man die Unterschiede in ihren optischen Eigenschaften auch dazu nutzen kann, ihre Existenz nachzuweisen. Die individuellen Eigenschaften, wie Gasmoleküle rotieren und schwingen, werden seit Jahren mithilfe der Infrarotspektroskopie dazu genutzt, Gasgemische auf ihre Zusammensetzung zu untersuchen. An der Technischen Universität Graz entwickeln wir gerade eine neue Methode, mit der wir nicht nur das Tanzen und Atmen der Gasmoleküle beobachten können, sondern auch die schnelle Sequenz elektronischer Bewegungen in den Molekülen. Damit erweitern wir unser Wissen über die genaue Abfolge vieler fotochemischer Prozesse, die zum Beispiel von der Sonne in unserer Atmosphäre ausgelöst werden können und für das Leben eine wesentliche Rolle spielen.

Blick auf die Grazer Luft

Für die Erforschung dieser Prozesse ist besonderes ultraviolettes Laserlicht notwendig, das wir nun mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrates über einen ERC-Starting-Grant erstmals mit den erforderlichen Eigenschaften entwickeln können. Damit wird es möglich, Videos von lichtinduzierten Molekülprozessen in der Atmosphäre in Zeitlupe mit einer beispiellosen Zustandsauflösung, quasi in Ultra-HD, aufzunehmen. Unter anderem von Jodmethan, das in Küstennähe aufgrund des steigenden Algenaufkommens vermehrt auftaucht.

Unser portables Spektrometer auf einem Rolltisch stellt stabiles Laserlicht im grünen Spektralbereich bereit, das durch das offene Fenster quer über den Campus Neue Technik der TU Graz gesendet wird. Das durch einen Retroreflektor zurückkommende Licht enthält die Luftabsorptionsinformation der durchlaufenen Wegstrecke und wird von unserem experimentellen Aufbau detektiert. Der Laserstrahl ist auf dem Foto nachträglich eingezeichnet, weil er zu schwach ist, um auf dem Foto gesehen werden zu können.
Foto: Schultze-Bernhardt

Während diese Vorhaben aufgrund des großen infrastrukturellen Aufwands nur im Laserlabor realisiert werden können, können wir unterstützt durch einen FWF-Start-Preis unsere Spektroskopiemethoden zum ersten Mal auch außerhalb des Labors einsetzen. Dabei konzentrieren wir uns auf den sichtbaren und nah-ultravioletten Spektralbereich, also auf Farbkomponenten, die uns auch von der Sonnenstrahlung auf der Erdoberfläche erreichen. Mit unserem ersten portablen hochauflösenden Spektrometer durchleuchten wir die Grazer Luft auf dem TU-Graz-Campus Neue Technik und optimieren unser Spektrometer für Feldmessungen. Damit wird es uns möglich sein, die Konzentration von Stickstoffdioxid auf unserem Campus zu bestimmen. Dies möchten wir dann erweitern – auf mehrere Gase, unterschiedliche Absorptionsstrecken, und wir möchten auch bei ganz unterschiedlichen Bedingungen messen, zum Beispiel im Hinblick auf Wetter, Tages- und Jahreszeit.

Messung der Grazer Atmosphäre. Unser (schwaches) grünes Laserlicht senden wir bei der dargestellten Messung aus dem offenen Fenster des Physikgebäudes auf einen Retroreflektor, der oben im Bild (nicht sichtbar) an dem Gebäude montiert ist, auf dessen Terrasse der Fotograf steht. Dadurch wird das Laserlicht reflektiert und kann mit einem Detektor am Ursprungsort gemessen werden.
Foto: Alexander Eber

Luftzusammensetzung während Events

Es ist für uns noch ungewohnt, neuerdings auch das Wetter bei unseren Messungen mit einzuplanen. Während wir jetzt noch nach nicht allzu schwierigen Bedingungen Ausschau halten, freuen wir uns schon darauf, wenn unser Spektrometer so optimiert ist, dass wir auch bei außergewöhnlicheren Ereignissen messen und dann feine Unterschiede in der Luftzusammensetzung wahrnehmen können, zum Beispiel vor und nach einem Gewitter oder während einer Großveranstaltung wie dem "Aufsteirern" in der Grazer Innenstadt. (Birgitta Schultze-Bernhardt, 6.4.2022)