Bildungsminister Martin Polaschek will die Wissenschafts- und Demokratieskepsis in Österreich bekämpfen – an den Schulen. Im Gastkommentar fordert Erwachsenenbildner John Evers, auf die Erwachsenen nicht zu vergessen.

"Wir haben ein strukturelles Problem, wenn knapp die Hälfte der Befragten angibt, dass Wissenschaft für ihr Leben keine Rolle spielt und wenn ein Drittel überzeugt ist, dass Forscherinnen und Forscher nicht ehrlich sind", sagt Bildungsminister Polaschek (ÖVP).
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Der Bildungsminister kündigt ein Maßnahmenpaket gegen die "Wissenschaftsskepsis" an. Ausgezeichnete Hochschullehrende sollen an die Schulen geschickt werden, um dort Wissenschaft als wichtig und spannend zu vermitteln. Eine wirklich gute, wenn auch nicht ganz neue Idee! Insbesondere auf die einschlägigen Erfahrungen der Erwachsenenbildung – wie auch auf Erwachsene als Zielgruppe(n) – sollte jetzt aber nicht vergessen werden.

Die Erwachsenenbildung und insbesondere die österreichischen Volkshochschulen blicken auf eine lange Tradition der Wissenschaftsvermittlung zurück. An dieser Stelle sei etwa Albert Einsteins – aufgrund des Andrangs im Wiener Konzerthaus abgehaltener – "Urania-Vortrag" erwähnt, welcher Anfang der 1920er-Jahre zum gesellschaftlichen Großereignis wurde. Wissenschaft breit zu vermitteln wurde und wird an den österreichischen Volkshochschulen als grundlegender Auftrag wahrgenommen.

"Volkshochschulen sind kein Ort für die Verbreitung von Heilslehren und antidemokratischen Weltbildern."

Im letzten "vorpandemischen" Kursjahr (2018/19) besuchten fast 210.000 Personen freiwillig (!) VHS-Kurse und Einzelveranstaltungen aus den Bereichen Politik, Gesellschaft und Kultur beziehungsweise Naturwissenschaften, Technik und Umwelt. Hinzu kommen noch über 65.000 Kursteilnehmende im Bereich Basis- und Grundbildung sowie zweiter Bildungsweg, die oft über mehrere Jahre an der VHS lernen. Wissenschaftsvermittlung stellt auch hier auf allen Niveaustufen eine Querschnittsmaterie dar. Während der Pandemie wurde gerade in den Lehrgängen der Basisbildung und des Pflichtschulabschlusses gezielt Wissenschaftsbildung zu relevanten Gesundheitsthemen geleistet. Mit großem Erfolg: Die Impfquoten lagen in diesen Lehrgängen in der Regel im oder über dem gesellschaftlichen Durchschnitt.

Darüber hinaus verpflichten sich die Volkshochschulen seit vielen Jahren freiwillig, nicht am lukrativen Markt esoterischer Angebote teilzunehmen. Volkshochschulen sind kein Ort für die Verbreitung von Heilslehren und antidemokratischen Weltbildern. Sämtliche an den VHS vermittelten Inhalte haben in einem wissenschaftlich begründeten und nachvollziehbaren Sinnzusammenhang zu stehen. Diese Selbstverpflichtung zur Wissenschaftlichkeit hat Signalcharakter und eine durchaus gesamtgesellschaftliche Bedeutung.

Regional verankert

In der Erwachsenenbildung und den Volkshochschulen steckt somit sowohl ein entsprechender Zugang wie auch das erforderliche Know-how im Sinne der Ansage des Bildungsministers. Ihre Träger, die Expertinnen und Experten in die Mission "Wissenschaftsbildung" breit einzubinden wäre daher ein Gebot der Stunde. Mit österreichweit 824 Standorten, die in 787 Gemeinden tätig sind, verfügen speziell die Volkshochschulen zudem über eine einzigartige und regional gut verankerte Struktur. Diese ist grundsätzlich in der Lage, jeden Winkel des Landes mit Bildungsangeboten zu erreichen.

Die positive Wirkung dieser "Bildungsressource" ist zudem gut belegt. Laut der BeLL-Studie (Benefits of Lifelong Learning) bedeutet Lernen an den Volkshochschulen für die Teilnehmenden mehr Respekt vor der Meinung anderer Personen und vor anderen Kulturen und erhöht den Stellenwert von Bildung und sozialem Zusammenhalt. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt zudem bei VHS-Teilnehmenden mit niedrigem Formalabschluss. Genau um diese Themen und Herausforderungen geht es. Genau diese Arbeit ist auch wichtig, wenn effektiv etwas gegen Wissenschaftsfeindlichkeit getan werden soll. (John Evers, 11.4.2022)