Die Filmemacherinnen Delphine Seyrig und Ioana Wieder gehen 1976 mit der Kamera demonstrieren.

Foto: Micha Dell-Prane

Wer den STANDARD online liest, dem ist vielleicht schon einmal die Serie "Geradegerückt" aufgefallen. Dort werden in wöchentlichen Artikeln sexistische und misogyne Narrative hinterfragt, die sich über in der Öffentlichkeit stehende Frauen durchgesetzt haben. Warum diese Eigenwerbung am Beginn einer Ausstellungsrezension? Weil die Serie "Geradegerückt" etwas ganz Ähnliches zu tun versucht wie die aktuelle, große Schau in der Kunsthalle Wien, Widerständige Musen: Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre.

"Auch heute assoziieren die meisten Leute mit dem Namen Delphine Seyrig ihre Hauptrolle in Letztes Jahr in Marienbad, nicht ihren Aktivismus", erzählt eine der Kuratorinnen der umfassenden Ausstellung, Nataša Petrešin-Bachelez. Zusammen mit Kokuratorin Giovanna Zapperi will Petrešin-Bachelez also nichts weniger als "das Narrativ Seyrig" geraderücken, also etwas tun, was die Schauspielerin selbst zeit ihres Lebens versuchte, indem sie sich gegen ihr Diven-Image auflehnte.

Das Arbeiten im Kollektiv

Einer jungen Generation von an Filmgeschichte und Feminismus Interessierten bietet die Schau die Möglichkeit, Seyrig nicht als unnahbare Glamour-Göttin, sondern als feministische Kämpferin, als Macherin mit Bodenhaftung kennenzulernen. Auch, wer mit Seyring in der ihr zugeschriebenen Rolle der mysteriösen Schönheit schon Erstkontakt hatte, wird sie hier mit anderen Augen sehen: als Persönlichkeit, die den Feminismus sowohl künstlerisch lebte, wenn sie für Filmemacherinnen wie Marguerite Duras, Ulrike Ottinger oder Chantal Ackerman vor der Kamera stand, als auch privat, wenn sie Frauen Geld für Abtreibungen schickte oder Aufklärungsarbeit leistete.

Delphine Seyrig in Ulrike Ottingers "Freak Orlando".
Foto: Ulrike Ottinger

Es ist aber keine Personale über Seyrig, sondern eine Schau, in deren Zentrum das Arbeiten im Kollektiv, das Schmieden von nationalen und transnationalen Allianzen zwischen Frauen steht. Ihr Kollektiv, Les Insoumuses(als "Widerständige Musen" übersetzt), gründete Seyrig zusammen mit den Filmemacherinnen Carole Roussopoulos und Ioana Wieder, um Themen wie Abtreibung, Sexarbeit, aber auch die Situation von Bevölkerungsgruppen, die noch marginalisierter waren und sind als Frauen, ins Bild zu holen.

Diese Filme dienten nicht nur als Dokumentation des feministischen Kampfes auf der Straße und in den Köpfen, sondern auch als praktisches Anschauungs- und Informationsmaterial für die eigene Community.

Ernüchternder Gewinn

Besonders wichtig war für Seyrig, anderen Frauen zuzuhören und so lernen zu können – genauso wie sie selbst von Roussopoulos lernte, mit einer Kamera umzugehen: ein Akt der Selbstermächtigung, der Frauen wie ihr ermöglichte, nicht nur vor der Linse zu existieren.

Zur Schau selbst wollen einem Adjektive wie klassisch, archivarisch, historisch einfallen, also eigentlich alles, was man vom theorieverliebten Thinktank Kunsthalle eher nicht erwartet. Das liegt sicher daran, dass die Schau nicht für die Kunsthalle konzipiert wurde; Widerständige Musen war bereits im LaM – Lille Métropole und im Museo Reina Sofía in Madrid zu sehen.

Maria Schneider und Delphine Seyrig bei den Dreharbeiten zu "Sois belle et tais-tois".
Foto: Courtesy Seyrig Archive

Sie hier zu zeigen ist ein Gewinn. Was die materialintensive, aber nicht überladene Schau richtig macht, ist, dass sie nicht im Sinne eines falsch verstandenen Auftrags versucht, Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Indem sie einfach nur genau nacherzählt und aufzeigt, wie es in den Siebzigern und Achtzigern war, stellen sich diese Bezüge sowieso von selbst her.

Wie könnte man nicht an die MeToo-Bewegung denken, wenn man den Titel von Seyrigs Film Sois belle et tais-tois (Sei schön und halt den Mund!) von 1976 liest, in dem Seyrig mit 24 Schauspielerinnen über die Geschlechterhierarchien und die Ungleichheit bei der Arbeit spricht.

Die ernüchternde Erkenntnis, wie viele der Herausforderungen, mit denen die "widerständigen Musen" zu kämpfen hatten, heute noch und wieder bestehen, trifft einen wie der sprichwörtliche Schlag. (Amira Ben Saoud, 7.4.2022)