Fran Lebowitz erklärt uns mit galligem Humor von New York aus Gott und die Welt.

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Es gibt weltweit nur wenige Menschen, die von dieser Berufung leben können. Die spätestens seit Martin Scorseses Netflix-Serie Pretend It’s a City und Gastauftritten bei Law & Order und The Wolf of Wall Street berüchtigte New Yorkerin Fran Lebowitz zählt dazu. Fran Lebowitz ist sehr faul, ihre beiden Essaysammlungen Metropolitan Life und Social Studies, die 1978 und 1981 veröffentlicht wurden und jetzt erstmals auf Deutsch unter dem Titel New York und der Rest der Welt vorliegen, sind die ersten und weitgehend letzten literarischen Dokumente eines sozusagen künstlerisch angehauchten Lebens, das sich während der letzten 40 Jahre vor allem durch eines auszeichnete: Fran Lebowitz lebt am liebsten davon, auf Bühnen zwischen New York und dem für seine bessere Küche und die langen Mittagspausen bekannten Europa eine mürrische alte, weiße Frau zu geben.

Sie stellt dabei dank Dialogen mit beigestellten Moderatorinnen unter Beweis, dass nicht Wien die Welthauptstadt des Grants ist. Lebowitz ist die schrullige Bezahltante aus der entfernten Verwandtschaft, die sich ausschließlich über gallige Weltbetrachtungen definiert. Die Witze sind trocken, knapp und schnell. Im Fußball würde man sagen: schnell gesehen, schnell geschossen.

Gibt es ein Leben außerhalb New Yorks?

Apropos Fußball, Fran Lebowitz hasst natürlich Sport abseits des Winkens nach einem Taxi auf dem Broadway. New York ist das einzig vorstellbare Heimatland. Alles andere ist exotisch und tendiert Richtung "Los Angeles" oder – noch schlimmer – Richtung "Grünland" und Bauernhof.

Fran Lebowitz kam in den 70er-Jahren von New Jersey nach New York und jobbte im Niedriglohnsektor. Sie wurde allerdings aufgrund einer gewissen Arbeitsunwilligkeit in doch eher mühsamen Berufen wie Kellnerin oder Taxifahrerin sehr schnell in der Blase von Andy Warhol berühmt. Für dessen Zeitschrift Interview verfasste sie trotz ständiger Schreibblockaden und Verkaterung großteils jene zeitlosen Kolumnen und Essays, die sich jetzt ein halbes Jahrhundert später noch immer so frisch lesen, als wären die "Dinge", "Orte", "Kunst" oder "Mode" gerade erst erfunden worden.

Witze und Wodka Tonic

Aber Achtung: "Nur weil man in der Highschool keine Freunde hatte, ist das noch kein Grund, ein Buch zu schreiben." Oder etwas poetischer: "Wenn Ihnen beim Betrachten des Sonnenuntergangs über einem Gebrauchtwagenhandel in Los Angeles auffällt, wie sehr dieses Bild an das unausweichliche Schicksal der Menschheit erinnert, notieren Sie diesen Einfall unter gar keinen Umständen."

Fran Lebowitz führt ein heiter-galliges Leben im Schatten des Watschenbaums. Auf die Gefahr hin, dass einmal ein Schmäh nicht so gut ankommt, hält die mittlerweile 71-jährige böse alte Frau im Zweifel auch die andere Wange hin. Die Zigarette im Mundwinkel bleibt.

Immerhin besagt die Lebenserfahrung, dass es für die meisten Menschen zumindest nicht angenehm ist, wenn eine Besucherin daheim auf dem Sofa alles schlechtmacht, worauf man sein Dasein gebaut hat. Wenn Fran Lebowitz bei dir auf einen oder drei Wodka Tonic vorbeischaut, wirst du alles, was man so gemeinhin dein Leben nennt, danach mit anderen Augen sehen. Deine Wohnung, deine Kinder, deine Haustiere, deine Zimmerpflanzen und deine idiotischen Pantoletten mit Fellimitat – oder überhaupt deine Persönlichkeit an sich: Ja, heul doch!

Twenty Summers

Fran Lebowitz hat auf all diese kleinen Dinge in deinem kleinen Leben großteils verzichtet. Sie steht auch nicht gern vor dem dritten Raucherhusten am Nachmittag auf. Lieber knapp bei Kasse als knapp mit der Zeit. Deshalb ist ihre Wohnung abgesehen von ihren 10.000 Büchern an den Wänden auch relativ klein gehalten. Fran Lebowitz schreibt nicht gern, lesen geht aber. Sehr wichtig auch für ein Bohème-Leben alter Schule: Kein Laptop, kein Handy und kein Fernseher verstellen den Blick auf die Aschenbecher – und gekocht wird, indem man sich bei irgendjemandem zum Essen einlädt und ihn wegen seines Lebens zur Sau macht.

Manchmal wacht Fran Lebowitz nach einem Dinner auch neben einer anderen Person auf. Gebe Gott, dass dort kein Radiowecker steht: "Wenn ich von Stevie Wonder geweckt werden wollte, würde ich mit ihm schlafen. Ich will aber nicht von Stevie Wonder geweckt werden, und deshalb hat Gott den normalen Wecker erfunden. Manchmal sieht die andere Person ein, dass ich recht habe. Manchmal tut sie das nicht. Und deshalb hat Gott viele andere Personen erfunden." (Christian Schachinger, 8.4.2022)