Das Erscheinungsbild von "Mundaun" erinnert an alte Postkarten. Und das ist mal etwas anderes als der Hochglanz-Einheitsbrei.

Foto: Interactive

Das Wasser in Horizon: Forbidden West sieht wirklich schön aus. Es ist transparent und so sauber animiert, dass sein Fließen durch die Flussbetten der postapokalyptischen Welt extrem realitätsnah wirkt. In den ersten paar Stunden meiner Spielzeit habe ich nicht selten innegehalten, um es ebenso zu bewundern wie die sonstige Flora und Fauna dieses Blockbusters. Und es ist freilich nicht die einzige AAA-Produktion, die die moderne Technik ausnutzt, um beeindruckende, teils gar fotorealistische Grafik zu präsentieren.

Boah, voll schön!

Ein gutes Beispiel dafür sind die mit viel Budget produzierten Rennspiele Gran Turismo 7 und Forza Horizon 5 – bei beiden Games muss man zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass es sich nicht um eine TV-Übertragung, sondern um ein Videospiel handelt. Und was habe ich doch die Reflexionen in den Hochhäusern von New York bewundert, als ich Spider-Man: Miles Morales spielte! Raytracing! Endlich realistische Lichteffekte! Die Welt ist gerettet!

Beeindruckende Bilder: die Unreal-Demo im "Matrix"-Franchise.
Unreal Engine

Oh, und dann natürlich noch Matrix – also, kein Spiel, sondern bloß die Demonstration der Möglichkeiten, die mit der Unreal Engine 5 kommen werden ... riesige fotorealistische Welten mit immer lebensnäher animierten Charakteren. Da soll uns natürlich auch wieder die Spucke wegbleiben. Und ehrlich, ich habe vergangenes Jahr auch die Demo ausprobiert, bei der ich selbst zum Protagonisten eines Matrix-Films wurde. Alles beeindruckend, keine Frage.

Tiny Tina macht es anders

Und dann kam Tiny Tina mit ihren Wonderlands daher, also der jüngste Ableger der berühmten Borderlands-Spiele. Diese pfiffen immer schon auf Fotorealismus und wagten stattdessen (neben diversen anderen Provokationen) den Frevel, einen Shooter in das grafische Erscheinungsbild eines Comics einzupacken. Das ist per se nicht schöner als die hochpolierten Battlefield-Spiele unserer Zeit – aber ich ertappte mich wieder dabei, dass ich mir dachte: Hey, eigentlich finde ich die Grafik wirklich ansprechend. Weil sie anders ist.

Sieht aus wie eine Graphic Novel, ist aber ein Spiel: "Forgive Me Father".
Foto: Byte Barrel/ 1C Entertainment

Das gilt freilich auch für diverse Indie-Games, die allein aus Budgetgründen nicht etliche Crunch-Stunden in die Aufgabe stecken können, möglichst fotorealistische Wolken zu animieren – und stattdessen mit Kreativität punkten. Zu nennen sei hier etwa das Gruselmärchen Mundaun, das auf einer Schweizer Alm spielt und in seiner monochromen Grafik an das Erscheinungsbild alter Postkarten erinnert. Oder der soeben erschienene Boomer-Shooter Forgive Me Father, der wiederum wie eine Graphic Novel ausschaut.

Sicher, die Produktion dieser Indie-Games hat weniger gekostet als die von manch einem AAA-Spiel. Und viele von ihnen können mit solchen fancy Buzzwords wie Raytracing nicht dienen. Aber dafür punkten sie durch eine grafische Machart, die mir in Erinnerung bleibt. Weil sie sich eben von der Masse abhebt. Und diese kreativen Bemühungen sind eigentlich das, was heutzutage – abseits des hochglanzpolierten Mainstreams – den Begriff "schöne Grafik" ausmachen sollte. (Stefan Mey, 10.4.2022)