In der belagerten Hafenstadt Mariupol werden weitere Kriegsverbrechen befürchtet.

Foto: IMAGO/Sergei Bobylev

Von einer "Provokation" spricht Moskau, wenn es um die Gräueltaten in Butscha geht. Russland zufolge soll der Tod hunderter Zivilisten im Kiewer Vorort nur vorgetäuscht worden sein, um es dem Kreml in die Schuhe schieben zu können. Lassen sich die vorgebrachten Argumente relativ leicht widerlegen, so gibt es nun weitere Indizien, die auf eine russische Täterschaft schließen lassen.

Dem Spiegel zufolge hat der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) Funksprüche russischer Militärs abgefangen. Sie sollen laut dem deutschen Nachrichtenmagazin zweifelsfrei belegen, dass Russland hinter dem Massaker in Butscha steckt. Zudem legten sie den Schluss nahe, dass die Kriegsverbrechen weder spontan noch die Taten Einzelner gewesen seien. Vielmehr soll die Ermordung von Zivilisten Teil der russischen Kriegsstrategie sein, um die Bevölkerung einzuschüchtern und so deren Widerstand zu brechen.

Beispiele für einige abgefangene Funksprüche: Ein Soldat schildert einem anderen, wie er mit Kollegen eine Rad fahrende Person erschossen habe. Ein Bild einer Leiche mit Fahrrad aus Butscha ging um die Welt. In einem anderen Funkspruch sagt ein Mann laut Spiegel, man befrage Soldaten, dann erschieße man sie. Weitere abgefangene Nachrichten passen zu Leichenfunden nahe der Hauptstraße im Kiewer Vorort.

Hinweise auf Söldnergruppe

Zudem soll aus diesem Material hervorgehen, dass auch die gefürchtete russische Söldnertruppe Wagner an diesen Gräueltaten beteiligt ist. Außerdem gibt es noch abgefangene Funksprüche, die darauf hindeuten, dass es Massaker wie in Butscha auch in anderen ukrainischen Städten gegeben haben könnte. Hinweise gibt es offenbar auf Tatorte in der und rund um die eingekesselte Hafenstadt Mariupol. Auch die ukrainischen Behörden vermuten weitere Kriegsverbrechen in anderen Städten.

Der BND selbst erklärte, er nehme zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten beträfen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung. Damit sei keine Aussage darüber getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend sei oder nicht.

Wirbel um mobile Krematorien

Apropos Mariupol: Dort warf Bürgermeister Wadym Bojtschenko Russland über den Nachrichtenkanal Telegram vor, Leichen in mobilen Krematorien zu verbrennen, um Kriegsverbrechen zu vertuschen. "Das ist ein neues Auschwitz und Majdanek", schrieb er mit Verweis auf die Vernichtungslager der Nazis. Diese Vorwürfe können in der eingekesselten Stadt nicht unabhängig überprüft werden, dasselbe gilt für Fotos von möglichen mobilen Krematorien, die im Internet kursieren.

Dass Russland solche Krematorien besitzt, ist schon länger bekannt. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace meinte zu Beginn der Invasion, die Truppen könnten sie nutzen, um die eigenen gefallenen Soldaten zu verbrennen und somit die Gefallenenzahlen zu manipulieren.

Vorwürfe auch gegen die Ukraine

Aber auch gegen die ukrainischen Truppen werden Vorwürfe laut, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die New York Times verifizierte ein Video, das seit Tagen auf Telegram kursiert. Zu sehen ist, wie ukrainische Kämpfer einen schwer verletzten Soldaten getötet haben. Die Hinrichtung soll sich Ende März in Dmytriwka nahe Kiew ereignet haben.

Fernab der Kämpfe in der Ukraine haben sich in Brüssel die 30 Außenminister der Nato-Mitglieder getroffen. Dabei wurde beschlossen, der Ukraine im Kampf gegen Russland mehr schwere Waffen zu liefern. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte bei seinem Eintreffen, die Ukraine brauche "Waffen, Waffen und Waffen". "Wir wissen, wie man kämpft, wir wissen, wie man gewinnt."

Suspendierung Russlands aus UN-Menschenrechtsrat

In New York schloss die UN-Vollversammlung am Donnerstag Russland vorübergehend aus dem UN-Menschenrechtsrat ab. Die USA und Großbritannien hatten diesen Schritt wegen der Gräueltaten in Butscha gefordert. Für eine Suspendierung stimmten 93 Staaten, dagegen waren 24, 58 Staaten enthielten sich ihrer Stimme. (Kim Son Hoang, 7.4.2022)