Die überlegene Vorstellungskraft der Künstlerin: Yoko Onos "Imagine Peace" ist aktuell auf der Fassade des Leopold-Museums zu bewundern.

Foto: Yoko Ono/APA

Viele Alt-68er haben auf ihrem berühmten Marsch durch die Institutionen Gepäck zurückgelassen: darunter allerlei ideologische Versatzstücke. So blieb von einigen besonders frommen Wünschen nicht viel mehr übrig als das diffuse Anliegen, die Welt besser einzurichten. Doch noch heute erkennt man Veteranen der linken Revolte an ihrem Anti-Kriegsreflex. Der Pazifismus, von Vertretern des Establishments lange Zeit für naiv erklärt, schwelt weiter – auch als diffuses Unbehagen an der politischen Großwetterlage.

Die von Wladimir Putin in Gang gesetzten Panzer rasselten bereits durch die Vororte von Kiew, als "Schockmaler" Gottfried Helnwein gegenüber dem Nachrichtenmagazin profil ungerührt seine Kriegstheorie zum besten gab. Die alten Revoluzzer im Westen hätten sich von den Institutionen unterkriegen lassen. Währenddessen habe das "amerikanische Imperium" die ganze Welt mit Propaganda überzogen. Da plagen sich die Gutwilligen mit den Vorschreibungen der Cancel-Culture ab. Zur selben Zeit sitze "eine kleine Bande von Supermilliardären in Silicon Valley" und arbeite für den "militärisch-industriellen Komplex" – der USA, wohlgemerkt.

Krieg, so lernen wir von Helnwein, einem ehemaligen Scientologen mit Wohnsitz in Los Angeles, entspringt dem teuflischen Kalkül einiger weniger: "Die Welt wird von einer kleinen Clique von Monopolisten und Superkapitalisten regiert." Putin dagegen, der unbeholfene Bär, sei den Amerikanern offenbar blindlings "in die Kriegsfalle getappt". Öffentlichkeit ist im Licht dieser Betrachtungsweise ein einziger kapitalistischer Propaganda-Fake. Nicht viel anders die Haltung eines anderen verdienten, in der Welt hochverehrten Avantgardisten aus Österreich, des Baukünstlers Wolf D. Prix, Mastermind von Coop Himmelb(l)au.

Nicht gerade zimperlich

Auch dieser lehnt, so wie Helnwein, Kriege grundsätzlich ab. Er baut auf der Krim ein Opernhaus. Im erst kürzlich veröffentlichten Spiegel-Gespräch weiß der arrivierte Architekt weitaus schlimmere Bauherren, als es ein Putin jemals sein könnte. "Ganz New York ist ein riesiges Wirtschaftsprojekt gewesen, bezahlt von auch nicht gerade zimperlichen Milliardären wie den Vanderbilts." Und während sich etwas weniger betuchte Konsumenten in aller Welt, sehr zu des Architekten Unwillen, chinesische Billig-T-Shirts überstreifen, reißt Prix den wahren Kriegstreibern die Larve vom Antlitz.

Bob Dylan sei, so Prix, in seinem Lied "Masters of War" (1963) den Kriegsherren bis an deren Grab gefolgt, um ihren Tod zu bezeugen. Aber auch Dylan besaß sehr genaue Vorstellungen darüber, wo der Kriegsteufel wohnt: "hinter Mauern und Schreibtischen versteckt". Dylan gab indes vor, die Übeltäter aufgespürt zu haben: "I can see you through your masks!", sang der Meisterpoet der damals erst im Entstehen begriffenen Protestbewegung. Hinter der Larve aber verbirgt sich niemand geringerer als der giergetriebene Großkapitalist. Krieg ist für die vielen verschiedenen Vertretern der Linken seit jeher mehr als bloß die Fortsetzung der Politik mit Gewaltmitteln gewesen.

In "antagonistischen Klassengesellschaften" trete er "notwendig" in Erscheinung: Er gehe einher mit der privaten Aneignung von "Produktionsmitteln". Erreicht der Monopolkapitalismus sein "imperialistisches Stadium", werde die Welt durch Kriegshandlungen neu aufgeteilt. Die Militärkräfte? Sind vorgeschoben. Eben weil die Milliardäre dieser Welt "nicht zimperlich" sind, würden zur Bedienung ihrer Interessen Märkte nicht nur friedlich erschlossen.

Gewiss: Gebombt wird von "Weltgendarmen" wie den USA, um geostrategische Interessen durchzusetzen. Der Imperialismus entstehe jedoch gesetzmäßig, "aus der Tendenz des Kapitalismus zur permanenten Überakkumulation und grenzenlosen Expansion in der Konkurrenz zwischen Staaten und Machtblöcken." So ähnlich kann man es in linken Organen wie konkret aktuell nachlesen.

Enorm profitabel?

Übrig bleibt die Rolle der Amerikaner als Welthegemon. Und irgendwo versteckt, in geheimen Oberstübchen und Schaltzentralen, nisten dessen "Monopolisten und Superkapitalisten". Für diese sind die Not und das Kriegselend enorm profitabel, welches sie in fernen Weltgegenden offenbar gezielt verursachen. Als die wahren Drahtzieher hinter allen globalen Katastrophen geben die Strippenzieher des Großkapitals für die meisten Alt-68er ein verlässliches Feindbild ab. Mit schöner Regelmäßigkeit verweisen (verdiente) Künstler wie Gottfried Helnwein und Wolf D. Prix auf ihr Ethos als Kulturschaffende, wenn sie die Schlechtigkeit der Welt geißeln.

Passieren grausame Verbrechen, dann hat todsicher der Kapitalismus seine Finger im Spiel gehabt. Der Künstler erkennt solche Zusammenhänge besser als irgendein dahergelaufener Spießer. Er hält aufgrund seiner historisch gewachsenen "Autonomie" Distanz zu allen Verwertungsprozessen. Er weiß Bescheid. Auch dann, wenn er instinktiv das Lied jener singt, deren Brot er verzehrt.

Putins Terrormaschinerie? Erscheint dagegen als grob. Sie nimmt sich im Weltmaßstab unerheblich aus, eine altmodische Verschleißstelle für rostige Kriegsvehikel. Wolf D. Prix wählt einen anderen Adressaten seiner Pazifizierungswünsche. Er fragt im Spiegel-Gespräch: "Weshalb hat mir keiner erklärt, wie wir Frieden schaffen können? Warum stopfen die Deutschen der Rüstungsindustrie 100 Milliarden Euro zusätzlich ins Maul?"

Gegen das Bild derer, die den Rachen nicht vollkriegen, bescheidet sich der Architekt mit der Rolle des Tors. Schuld an den Entwicklungen? "Wenn Gutgläubigkeit und Naivität Schuld bedeutet, dann habe ich eine Mitschuld." Doch die Einfalt des Pazifisten scheint verzeihlich. Der wahre Urheber von Krieg, Terror und Vertreibung besitzt keine Anschaulichkeit. Der Markt? Lässt seine Kapitalströme meist unsichtbar zirkulieren. (Ronald Pohl, 9.4.2022)