Der Schneematsch von Rimini als Wolkenersatz: in Ulrich Seidls "Rimini".

Foto: Stadtkino Filmverleih

Der Genießer des neuen, zu Tränen rührenden Ulrich-Seidl-Films Rimini spürt instinktiv: Schauspielkunst kennt keine Grenzen. Ein stämmiger Entertainer verzaubert Semester, die im Spätherbst ihres Lebens stehen, mit seiner erotischen Dienstfertigkeit. Der liebevolle Ernst, mit dem Seidl die Vereinigung von welk gewordenem Fleisch zelebriert, straft die Prüderie, die sonst in den Traumfabriken für gewöhnlich herrscht, Lügen.

Vielleicht muss man wie Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas) alle Höhen und Tiefen des Showgeschäfts durchlebt haben, um den Schneematsch von Rimini als Wolkenersatz zu begreifen: Illusion des Himmels auf Erden. Meine eigenen Berührungen mit der Filmwelt blieben kursorisch. Als ich, ein ehedem dicker Babyboomer, zum ranken Halbwüchsigen erblüht war, eilte ich, einem Fingerzeig folgend, schnurstracks zu einem Casting. Man suchte für eine Ballszene in der Vorabendserie Trotzkopf Kavaliere, die den Backfischen rund um Ilse (Anja Schüte) den Hof machten.

Jünglinge in Gehröcken

Prompt gehörte ich zu den Auserwählten. Ein emeritierter Staatsopern-Tänzer, selbst kaum dicker als ein Zollstock, unterwies uns im Walzer. Endlich, an einem brütend heißen Augusttag, war es so weit: Wir Jünglinge schlüpften in Gehröcke, dick wie Panzerblech. Das geliebte Haupthaar, Ausweis unseres unbändigen Freiheitsdranges, fiel der Schere zum Opfer. Und schon ging es los: Unter glühenden Scheinwerfern torkelten wir unzählige Runden. Die Geisterstunde schlug, das Ärgste schien überstanden. Da wies der Regisseur auf mein verschwitztes Haupt und hieß mich "die Anja auffordern". (Sie musste laut Drehbuch von ihrer schwindsüchtigen Freundin abgelenkt werden.)

Mir schlotterten trotz Hitze die Knie. Anja sah durch mich hindurch wie durch ein Glas Wasser. Mein "Darf ich bitten?", gebrummt wie von Bruno Kreisky persönlich, durfte ich geschlagene 14 Mal wiederholen.

Nach beendigtem Dreh saß ich neben dem Bakelittelefon und wartete auf Folgeangebote. Der Apparat schwieg hartnäckig: bis heute. Nicht einmal Ulrich Seidl hat mich angerufen. (Ronald Pohl, 13.4.2022)