Eren Simsek widmet sich in seiner Dissertation einem wissenschaftshistorischen Thema.

Foto: Valerie Marth

Am 14. Dezember 1922 hielt Albert Einstein an der Universität Kioto einen Vortrag mit dem Titel "Wie ich die Relativitätstheorie erschuf". Für den 36-jährigen Physiker und Wissenschaftshistoriker Eren Simsek ist die Bedeutung dieser Rede, die nur in einer Mitschrift des japanischen Einstein-Schülers Jun Ishiwara überliefert ist, herausragend: "Zum einen liegt sie in zeitlicher Nähe zur Auszeichnung Einsteins mit dem Nobelpreis. Zum anderen wurde nicht lange davor Ernst Machs Werk 'Die Prinzipien der physikalischen Optik' posthum veröffentlicht – mit einem Vorwort, das sich gegen die Relativitätstheorie wendet."

Simsek hat Einsteins Kioto-Rede zu einem zentralen Punkt seiner Dissertation an der Universität Wien gemacht. Denn der Inhalt des Vortrags sei in der Erforschung des Einflusses, den der 1916 verstorbene Mach auf seinen jüngeren Physikerkollegen Einstein hatte, bisher zu kurz gekommen, sagt Simsek – mit wenigen Ausnahmen.

"Dem österreichischen Physiker und Einstein-Forscher Roman Sexl, dessen Arbeit ich aufgreife, galt die Kioto-Rede als inoffizielle Nobelpreisrede." Simsek hat deshalb in seiner Dissertation neben der Entstehung der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie auch die Genese der Inhalte der Kioto-Rede rekonstruiert – mit Hinblick auf das Verhältnis von Mach und Einstein.

"Es ist mittlerweile gut belegt, dass das Relativitätstheorie-kritische Vorwort in Machs Buch eine Fälschung ist – zumindest im deutschsprachigen Raum ist man sich darüber einig", sagt Simsek. "Einstein war damals überrascht von dieser kritischen Haltung. Er war gespannt auf die Argumente, die in einem zweiten Band folgen sollten – der aber niemals erschien."

Antisemitismus entkommen

Die Veröffentlichung entstand auch vor dem Hintergrund einer zunehmend antisemitischen Stimmung in Deutschland. "Aus Briefen geht hervor, dass sich Einstein auf die Reise nach Japan freute, weil er dieser Stimmung dort eine Zeitlang entkommen konnte", erklärt Simsek. "In Japan konnte er offener sprechen und die Dinge zurechtrücken."

Dass er sich dabei jedoch nicht kritisch über Mach äußerte, sei auffallend. "Jedes Mal, wenn er auf eine erkenntnistheoretische Ebene seiner Arbeit zu sprechen kommt, verweist Einstein auf Mach. Dass Mach die Dogmatik einer absoluten Betrachtung von Raum, Zeit und Masse aufgebrochen hat, war für Einsteins Arbeit extrem wichtig", sagt Simsek. Der Physiker ist überzeugt, dass der Einfluss Machs auf Einstein größer war, als von der Wissenschaft heute gemeinhin angenommen wird.

Simsek wurde 1985 in Mittersill in Salzburg geboren. Er absolvierte Lehramtsstudien in Physik, Psychologie und Philosophie, um "einen Überblick zu bekommen", wie er sagt. Bereits in seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit einem wissenschaftshistorischen Thema, mit Isaac Newton und René Descartes.

Den Großteil seines Studiums hat Simsek übrigens "nebenberuflich" erledigt. Seit 2011 ist er Lehrer, zurzeit am Gymnasium der Wiener Sängerknaben und am Parhamer Gymnasium. "Wissen zu vermitteln ist mein eigentlicher Traumberuf", sagt der Physiker. (Alois Pumhösel, 18.4.2022)