Paul Wallner und Anna Müller sind seit zehn Jahren mit ihrem melancholisch-treibenden Clubsound als HVOB international erfolgreich.

Foto: Andreas Jakwerth

Die Nummer Gluttony durchzieht ein schweres Atmen. Zuerst klingt das Geschnaufe nach Long-Covid-Beschwerden, aber sobald dann die mächtige Bassdrum auf alle vier Viertel des Taktes hinschlägt und Anna Müllers Gesang einsetzt, biegt die Nummer in den Darkroom ab, und das Keuchen klingt nach einer ganz anderen Anstrengung. Diese beiden Pole, Leiden und Lust, Röcheln und Rausch, zeichnen das ganze fünfte Studioalbum des heimischen Duos HVOB aus, das den Namen Too trägt.

HVOB

Müllers melancholische, reduzierte Texte scheinen von den psychischen Belastungen der Krise, vom Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Sein, vom Infragestellen zwischenmenschlicher Beziehung beeinflusst zu sein. Die Beats wie zum Beispiel auf dem Opener Bruise schreien dagegen laut "Berghain, Berghain!" und wollen alles – vor allem sich selbst – im Strobo-Hagel vergessen lassen.

Die Dichotomie zwischen zart und verletzlich auf der einen, hart und verletzend auf der anderen Seite machte immer schon den "Signature Sound" des Duos aus, der auf Too nun gelungen auf die Spitze getrieben wird.

HVOB

Seit zehn Jahren besteht das Projekt HVOB (Her Voice over Boys) bereits. Mit der Nummer Dogs gelang Müller und Paul Wallner 2012 etwas, von dem viele andere nur träumen können: Sie verhalf HVOB zu einem Hype, den die beiden in eine solide internationale Karriere verwandeln konnten. Die ersten beiden Alben erschienen auf Oliver Koletzkis Berliner Elektronik-Label Stil vor Talent, HVOB spielten im Laufe ihres Bestehens auf zahlreichen renommierten Festivals im Ausland und verkauften Touren in Australien, Amerika, Asien und Afrika aus. Allein wenn man sich die unzähligen Städte durchliest, in denen HVOB 2019, vor Covid, mit ihrer Tour zum Album Rocco haltmachten, wird einem schwindelig. 2021 erschien dann auch noch ein Livealbum, das in London aufgenommen wurde. Man fragt sich, ob die beiden nicht auch mal ganz froh hätten sein können, pandemiebedingt Pause machen zu müssen.

Alles andere als "lost"

"Pause" scheint aber im Arbeitsethos von HVOB keinen Platz zu haben, denn auch die Tour zum neuen Album Too, dessen acht Tracks nach und nach über den Zeitraum von sechs Monaten veröffentlicht wurden, beginnt schon Ende April. In den Worten des Duos ist es ein Album, das sich um die Suche einer Generation nach Zugehörigkeit dreht. HVOB ist es gut gelungen, dieses Gefühl in Musik zu verwandeln, die aber selbst nicht "lost" klingt.

HVOB

Ganz im Gegenteil: Zwar erweitern HVOB auf Too ihren Erfolgssound um keine neuen Elemente, sie haben ihn aber in seinen Nuancen präzisiert. (Amira Ben Saoud, 13.4.2022)