Der erste Ostermarsch fand 1960 in Deutschland gegen Atomwaffen statt. Die Anliegen der Marschierenden passten sich über die Jahrzehnte ihrer Zeit an: Vietnamkrieg, Kapitalismus, Kampfdrohnen, Klimaschutz.

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Gehen und Ostern, diese Verbindung hat Tradition. Lesen wir bei Goethe nach. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche", "im Tale grünet Hoffnungsglück", "überall regt sich Bildung und Streben", jubiliert dessen Dr. Faust im gleichnamigen Opus beim Osterspaziergang. Für die Profaneren unter uns ist Ostern heute ein Familienfest mit der Annehmlichkeit von Ferien und verbunden mit dem Vorteil lauer werdenden Wetters. Fausts Freudenruf "Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!" markiert den Höhepunkt dieses kreatürlich natürlichen Gefühls. Für die Bibelfesten ist Ostern hingegen das wichtigste Fest im Kirchenjahr. Nicht die Geburt Jesu zu Weihnachten, sondern seine Auferstehung bildet die zentrale Frohbotschaft des Christentums.

Dass das kein Widerspruch, sondern eine theologisch-biologische Parallele ist, weiß nicht nur Hermes Phettberg. "Wie Rohrstöcke zu hautengen Jeans passt Ostern zum Frühling", stellte er in seinem Predigtdienst fest. Schlagen wir also noch einmal bei Goethe nach, steckt auch in dessen Zeilen verknappt zentraler theologischer Gehalt: "Jeder sonnt sich heute so gern / Sie feiern die Auferstehung des Herrn."

Die Wiedergeburt der Natur und ihres Schöpfers gehen nicht von ungefähr Hand in Hand. Die Kirche hat sich bewusst am Fest der heidnischen Frühlingsgöttin Eostra bedient. Sprießende Blätter symbolisieren Zuversicht und passen damit ideal zur österlichen Botschaft vom ewigen Leben wie auch Frieden. Ihr Ursprung? "Der Friede sei mit euch!", sprach Jesus zu den Jüngern, nachdem die Frauen sein Grab leer gefunden hatten.

Zeichen der Zeit

Damit sind wir mitten im Themenkomplex Ostern, Frieden und Unterwegssein. Gehen und Ostern hat in der Bibel Tradition, schon lange vor Goethe. Die Flucht aus dem Grab ist der letzte Schritt. Davor zog Jesus am Palmsonntag in Jerusalem ein, ging im Garten Gethsemane spazieren, schleppte das Kreuz auf dem Rücken. Der Papst absolviert immer noch in Erinnerung an diese Pein am Karfreitag seinen Kreuzweg an Roms Kolosseum.

Jahrhundertealte Tradition hin oder her, die aktuellen Ereignisse in der Ukraine machen davor nicht halt. Wie er bei seiner Generalaudienz am Mittwoch mitteilte, sollen heuer als Friedensaufruf während eines Teils des Umzugs eine ukrainische und eine russische Familie gemeinsam das Kreuz tragen. Zuletzt wurde sogar von manchen gefordert, dass Franziskus als Friedensstifter eine österliche Reise nach Kiew antreten solle. Vom Pontifex hieß es erst, es sei abzuwägen, ob so eine Reise aktuell machbar und fruchtbar sei. Inzwischen kann man sich sicher sein, dass er nicht so bald hinfahren wird.

Andere schnüren indes schon die Schuhe. Nämlich die Teilnehmer einer weiteren Spielart österlichen Unterwegsseins. Sie sind in den letzten Jahrzehnten etwas aus der Mode gekommen, wegen des Kriegs in der Ukraine aber wieder präsenter: Ostermärsche.

Minderheit für das Gute

Der Erste seiner Art fand 1960 in Deutschland statt. Der Grund war die Angst vor einer atomaren Eskalation des Kalten Krieges, damals waren gerade nuklearwaffenfähige Kurzstreckenraketen am Nato-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne stationiert worden. Zum Vorbild wurden britische Antiatomwaffenproteste aus den 1950ern. Die Idee, dass "aus einer entschiedenen Minderheit eine kraftvolle Mehrheit" werden kann, kam an. Deren Anliegen diversifizierten sich, Krisen erwiesen sich dabei stets als Blütezeiten für Ostermärsche: 2003 war es der Irakkrieg, 2011 der Reaktorunfall von Fukushima.

Das heimische Angebot an Gelegenheiten zum Mitmarschieren hinkt dem bundesdeutschen sicherlich hinterher. Dort fanden 2019 in über 100 Städten solche Kundgebungen statt. Doch verfängt der wehende Zeitgeist hier wie dort in den Transparenten. Nicht nur darf man inzwischen per Fahrrad teilnehmen. Zuletzt sorgten Allianzen mit Fridays for Future dafür, dass junge Umweltschützer neben alten Pazifisten teilnahmen. Wenn am Ostermontag in Bregenz marschiert wird, zielt das Motto "Es geht ums Ganze" neben dem Krieg in der Ukraine auch auf Klima und Gerechtigkeit generell. Die KPÖ Oberösterreich steht dem mit ihrer Botschaft "Hochrüstung und Militär verunmöglichen auch die Erreichung der Klimaziele!" nicht nach. In Wien lädt die NGO Attac zum friedlichen Umzug.

Kurzfristig hat das Marschieren nie geholfen. Der Papst hat eine Waffenruhe für die Osterzeit gefordert. Heiteren Osterschnappschüssen auf Social Media werden wohl trotzdem Gräuelbilder aus der Ukraine den Rang ablaufen. (Michael Wurmitzer, 14.4.2022)