"Gestatten, Rex Gildo!" 1981 ging es dem deutschen Schlager schon nicht mehr so gut. Die Showkostüme aber waren kess.

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In einem alten finnischen Schlager heißt es: "Ohne Liebe sind wir auf dem halben Weg zur Hölle." Schlagermusik ist schließlich keine rein deutsche Angelegenheit. Auch anderswo wird nach der alten Gewissheit gelebt, dass einfache Musik und einfache Texte große Gefühle produzieren. Der Erfolg von Ulrich Seidls aktuellem Film Rimini um den Schlagerstar Richie Bravo, der im winterlichen Ausgedinge in traurigen Diskotheken an der italienischen Adria vor Busladungen alter Verehrerinnen schon bessere Tage, aber noch nicht sein Ende gesehen hat, weist auf eines hin.

Selbst ein sogenanntes aufgeklärtes älteres Publikum, das ab den 1970er-Jahren auf Konfrontationskurs mit dem vielgescholtenen Schlagergenre lebte, ist im Zweifelsfall mehr von den scheinbar läppischen Liedern einer Kunstfigur in zu engen Showkostümen aus der Zeit fasziniert, in der Abba noch die Welt regierten, als von neueren angloamerikanischen Produkten des Popgenres.

Pop und Wirtschaftswunder

Ob gewollt oder nicht, Du bist nicht allein von Roy Black oder Hier ist ein Mensch von Peter Alexander prägten eine Kindheit während der 1960er- und 1970er-Jahre mehr als alle anderen Popklassiker zusammen. Singt jemand bei Smoke on the Water mit? Eben.

Der Begriff Schlager taucht ab den 1850er-Jahren auf. Er wurde für Gassenhauer aus der Operette geprägt, etwa Glücklich ist, wer vergisst aus der Fledermaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er in der auch wirtschaftlich steilgehenden angloamerikanischen Jugend- und Popkultur vom Schlagwort des Hits abgelöst. Identitätsbildend waren ab diesem Zeitpunkt sowohl die enthemmte "Dschungelmusik" aus Amerika für die wilden jungen Leute als auch der etwas blechern klingende Schlagersoundtrack des deutschen Wirtschaftswunders als brave Parallelwelt.

Ingo Schmit

Immerhin ging es in dieser Volkskultur auch um eines. Die Lieder vor allem des Schlagers ab den 1970er-Jahren (Ölkrise!) handelten im Gegensatz zum Pop nicht von der Verheißung eines besseren, größeren Lebens ("Break on through to the other side"). Im Schlager ging es erst einmal darum, trotz jährlichen exotischen Urlaubs in Rimini und Jesolo aus dem irdischen Jammertal daheim in Bochum und Leoben erlöst zu werden. Im Schlager wird am offenen Herzen operiert.

Schlager bedeutet, pathetisch gesagt, ein Gebet um Erlösung. Es geht um unerfüllte oder misslungene Liebe, Abweisung, Einsamkeit, Sehnsucht, Tragödie, ja, Schicksal. Dazu kommt der Traum davon, dass einmal alles besser werden wird: "Hast du dort droben vergessen auf mich, es sehnt doch mein Herz nach Liebe sich." Das ist der Kern des Schlagers. Er ist emotional hochgradig aufgeladen.

fritz51211

Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, dass Pathos nicht zu sich selbst auf Distanz gehen kann. Mag alles auch noch so einfach gestrickt sein und schablonenhaft zusammengekleistert wirken: Schlagermusik, die relevant ist, kennt keine Ironie. Auch wenn man sie in ihrer scheinbaren Naivität belächeln mag, sie ist wahrhaftig.

Spätestens in den 1990er-Jahren fand mit dem Aufkommen des Privatfernsehens und all den "ironischen" Schlagerpartys mit Guildo Horn oder lustigem Binge-Drinking beim Après-Ski die befürchtete Ironisierung statt. Das wirkte auf die Szene tödlich. Es führte dazu, dass sich der Schlager in der alten Form mit seinen alten Stars im Gegensatz zu früher zu einer kleinbürgerlichen Mitpaschgaudi entwickelte.

Da helfen auch keine Versuche, die alten immergrünen Gefühlsbehauptungen zwischen Depression und Erektion mit alten fetzigen Discofox-Sounds der Pet Shop Boys in der Ü60-Tanzveranstaltung auf Vordermann zu bringen. Siehe Roland Kaiser. Dazu gesellt sich heute eine "geriatrische Betreuung" im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Zusätzlich, schreibt der deutsche Journalist und Schlagerfan Wolfgang Buschlinger im Essay Ich könnt’ heulen. Vom deutschen Schlager etwas drastisch, führte es über die vielen "ironischen" Schlagerpartys auch zum Soundtrack für ein "Fremdficken im Suff als Kulturtechnik". DJ Ötzi, Nik P., der Stern, der deinen Namen trägt, das sind die Spätfolgen. Selbst Helene Fischer hechelt sich Atemlos durch die Nacht. Das ist nicht gut.

Tragödie und Erlösung

Man sehnt sich heute einfach wieder nach dem deutschen Schlager, wie er einst erklang. Er soll uns Trost und Rat spenden: "Rocky, ich bin noch nie gestorben, ich weiß nicht, ob ich das bringe", "Wahnsinn, dich so rücksichtslos zu lieben", "I hab eich olles gebn, des war mei potschertes Lebn".

Die großen Themen abseits des Ballermanns auf Mallorca und der Schneebar in Obertauern müssen wieder her. Es dürfen dann auch einmal Der letzte Sirtaki von Rex Gildo oder Howard Carpendale sein: "Deine Spuren im Sand, die isch gestern nock fand …" Schlager beruht auf Tragödie. Das Leben ist voll davon. Ab und zu ist Erlösung in Sicht.
(Christian Schachinger, 17.4.2022)