Noch ist nichts passiert. Russisches Gas strömt nach Deutschland, niemand muss frieren, alle haben Strom zum Kochen, die Autos fahren. Doch da niemand abschätzen kann, wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine weitergeht und welche Konsequenzen er noch mit sich bringen wird, baut die deutsche Regierung schon mal vor.

So appelliert Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an die Bevölkerung: "Ich bitte jeden und jede, jetzt schon einen Beitrag zum Energiesparen zu leisten. Als Faustformel würde ich ausgeben: Zehn Prozent Einsparung geht immer."

Die deutsche Regierung will dazu demnächst eine Kampagne starten. "Wir können nur unabhängiger von russischen Importen werden, wenn wir es als großes gemeinsames Projekt ansehen, an dem wir alle mitwirken", sagt Habeck und betont: "Das schont den Geldbeutel und ärgert Putin."

Nicht nur die Hochspannungsleitung steht unter Strom. Die Debatte um Energiesparen wird mit viel Energie geführt.
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Vom grünen Minister kommen auch praktische Tipps: Autos stehen lassen, mehr Homeoffice, Vorhänge beim Heizen zuziehen ("spart bis zu fünf Prozent Energie"), Raumtemperatur um ein Grad senken.

Auch der Chef der deutschen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, weist darauf hin, dass der private Energieverbrauch in Deutschland noch zu hoch sei. Die Krise spiegle sich hier noch nicht wider, erklärte er in der Zeit.

Auf die Frage, ob Saunen und große Singlewohnungen künftig noch ständig beheizt werden könnten, sagte er: "Nein, ich glaube, dass das in einer Gasnotlage auf gar keinen Fall mehr zu rechtfertigen wäre."

Private Haushalte

Nach europäischen Vorgaben seien private Haushalte, Krankenhäuser und Gaskraftwerke, die für die Fernwärmeversorgung zuständig sind, besonders geschützt. "Richtig ist aber, dass der uneingeschränkte Schutz für private Verbraucher sehr schwer vermittelbar ist", sagt Müller.

Im Notfall würde das Gas für Deutschland bis zum Spätsommer oder Frühherbst reichen. Die Politik selbst ist auch nicht untätig. Der Anteil der russischen Gaslieferungen ist in den vergangenen Wochen von 55 auf 40 Prozent gesunken. Bis zum Sommer will das Wirtschaftsministerium Ölimporte aus Russland halbieren, im Herbst könnte man komplett auf russische Kohle verzichten.

Nicht festlegen wollte sich Habeck in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe in der Frage, welche Industriebetriebe im Falle eines Energiemangels als Erste keine Versorgung mehr bekommen würden. Dazu lasse sich "pauschal" nichts sagen, denn "dazu ist das Gefüge zu komplex". Man werde aber alles tun, "um das zu vermeiden".

Gesetz von 1975 wird überarbeitet

Als letztes Mittel will Wirtschaftsminister Habeck im Krisenfall auch Energieversorgungsunternehmen enteignen. Dazu lässt er das aus dem Jahr 1975 stammende Energiesicherungsgesetz überarbeiten und anpassen.

Darf Sauna im Energienotfall sein? Oder das Beheizen aller Zimmer einer großen Singlewohnung? Der deutsche Netzagentur-Chef stößt eine Debatte an.
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Schon vor einer unmittelbaren Gefährdung oder Störung der Energieversorgung sollen besondere Maßnahmen möglich sein. Konzerne, die zur kritischen Energie-Infrastruktur gezählt werden, könnten dann unter Treuhandverwaltung gestellt werden.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz steht hinter den Notfallplänen des Wirtschaftsministeriums. "Wir machen mehrere Gesetze beschlussfertig", erklärt er. Denn: "Jetzt ist es so, dass wir Entscheidungen treffen müssen, die uns in die Lage versetzen müssen, alles Notwendige zu tun, wenn es eng wird."

Treuhänderin für Gazprom

Bei einem Unternehmen hat die Regierung bereits eingegriffen. Habeck ließ auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für die Gazprom Germania GmbH einsetzen. Grund dafür: die ungeklärte Übertragung der Gesellschafteranteile an eine im Ausland ansässige Gesellschaft. Eine solche Übertragung ist nach deutschem Recht ohne vorherige Anzeige und Prüfung verboten.

Die Bundesnetzagentur nimmt nun für eine Übergangszeit bis zum 30. September 2022 die Rechte als Treuhänderin der Gazprom Germania GmbH wahr. Habeck nannte den Schritt "zwingend notwendig". Gazprom Germania betreibe in Deutschland kritische Infrastruktur und habe eine "herausragende Bedeutung für die Gasversorgung".

Die 1990 gegründete Gesellschaft Gazprom Germania verfügt über ihre Tochter Astora über Gasspeicher in Deutschland und Österreich mit einer Kapazität von insgesamt sechs Milliarden Kubikmetern. In Deutschland gehören die Speicher im deutschen Rehden und in Österreich in der Salzburger Ortschaft Haidach dazu. (Birgit Baumann aus Berlin, 19.4.2022)