Das Ergebnis der Umfrage ist schockierend und gleichzeitig, angesichts der Umstände, wenig überraschend: 85 Prozent der Ausländer denken derzeit darüber nach, Schanghai zu verlassen – die Hälfte davon innerhalb der kommenden zwölf Monate. Die Wirtschaftsmetropole Chinas leidet seit über drei Wochen unter einem strikten Lockdown. Und selbst wenn die massiven Restriktionen morgen enden würden, hätte der Lockdown massive Narben hinterlassen: Die 26-Millionen-Stadt hat ihren Glanz und Glamour für die internationale Business-Community verloren. Die Stellen nachzubesetzen wird für viele internationale Unternehmen nicht einfach werden.

Unterdessen bemüht sich die Regierung halbherzig um Schadensbegrenzung: Diese Woche nun sollen sogenannte "Production Bubbles" in Kraft treten, um zumindest Schlüsselindustrien am Laufen zu halten. Dazu wurde eine "White List" mit 666 Unternehmen erstellt, die weiterproduzieren dürfen (die Zahl 666 steht im Chinesischen eher für "großartig" als für den Teufel). Zwei Drittel der gelisteten Unternehmen sind im Automobilgeschäft tätig, dazu zählen auch Volkswagen und Tesla.

Geschlossener Kreislauf

Die einzige Möglichkeit, um weiterzuarbeiten, waren bisher sogenannte "Closed Loop"-Systeme. Die Arbeiter schlafen dort für mehrere Wochen auf dem Werksgelände und werden täglich getestet. Was nach Arbeitslager klingt, dürfte angesichts der Zustände in der Stadt für viele die bessere Alternative sein. Wie sich die "Production Bubble"-Regelung von der "Closed-Loop"-Regelung unterscheidet, ist allerdings nicht ganz klar.

Es gibt wieder Schiffsstau vor Schanghai.

Die Produktion am Laufen zu halten macht allerdings nur Sinn, wenn Waren an- und ausgeliefert werden können. Im Gelben Meer vor Schanghai stauen sich unterdessen die Containerschiffe (siehe dazu auch Marinetraffic). Derzeit warten rund 900 Schiffe vor Ningbo und Schanghai seit Wochen auf Löschung ihrer Ladung. Auch zu Lande stockt der Warenverkehr.

Um die Lieferketten aufrechtzuerhalten, sollen Lastwagenfahrer schneller mit Reisezertifikaten ausgestattet werden, verkündete die Regierung am Montag. Ob das helfen wird, ist fraglich. Bisher müssen Lastwagenfahrer, um die Waren von Schanghai ins 50 Kilometer entfernte Taicang bringen, die Provinzgrenze überqueren. Das kann dazu führen, dass sie tagelang ihren Lkw nicht verlassen können oder dass sie in einem Quarantänezentrum landen. Der Transport von Waren in der wirtschaftlich wichtigen Provinz Jiangsu ist um 60 Prozent zurückgegangen, die Kosten dafür um 30 Prozent gestiegen.

Kompletter Stopp

Ein Experte des Technologiekonzerns Huawei rechnet mit einem kompletten Produktionsstopp aller Tech- und Industrieunternehmen, insbesondere aber der Automobilzulieferer, sollte Schanghai bis Mai nicht die Produktion wiederaufnehmen.

666 Unternehmen sollen nun trotz Lockdowns weiterproduzieren dürfen – Tesla gehört dazu.

Noch aber sind die – stets mit Vorsicht zu genießenden – chinesischen Wachstumszahlen stabil: Am Montag verkündete das Nationale Statistikbüro ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal dieses Jahres von 4,8 Prozent – das ist mehr als im Quartal zuvor und etwas über den Erwartungen der Analysten. Global aber dürften die Produktionsengpässe zu Preisanstiegen im Westen beitragen.

Unterdessen gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Peking von der rigiden Zero-Covid-Politik abrückt. Im Gegenteil: Immer mehr Städte werden stillgelegt, die Bewohner eingesperrt. Das Magazin Caixin spricht von 20 Städten und 30 Millionen Menschen. Die Zahl dürfte untertrieben sein, da allein Schanghai 26 Millionen Einwohner hat. In Taiyuan in der Provinz Shanxi wurde am Sonntag der "Pauseknopf" gedrückt, wie die Staatspresse es nannte. Die Stadt hat über fünf Millionen Einwohner. Da sich in vielen Städten des chinesischen Inlands keine Ausländer, geschweige denn Journalisten aufhalten, ist das wahre Ausmaß kaum bekannt. (Philipp Mattheis, 19.4.2022)