Bis zu einer unabhängigen Weisungsspitze in der Justiz muss die Koalition noch viele Schritte tun. Noch steht sie ganz am Anfang des Weges.

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Den Überraschungseffekt konnte die Volkspartei für sich verbuchen: In den letzten Zügen der Verhandlungen zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses teilte die ÖVP im Februar 2021 mit, dass sie jetzt übrigens auch für die Einführung eines Bundesstaatsanwalts sei. Die Grünen hatten das schon seit Jahren gefordert. Doch der Zeitpunkt machte manche in der Partei skeptisch: Die ÖVP ritt in dieser Zeit eine Justizattacke nach der anderen, während zahlreiche Türkise selbst schon im Fokus der Ermittlerinnen und Ermittler standen.

14 Monate später zeigt sich, dass so ein umfassender Umbau der Justiz komplizierter ist, als manche dachten. Schließlich soll an der Spitze der Weisungskette nach den Koalitionsplänen nicht mehr die Justizministerin stehen, sondern eben eine unabhängige Bundesstaatsanwältin. Im November des Vorjahres lieferte die von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) eingerichtete Arbeitsgruppe einen ersten Zwischenbericht mit Vorschlägen für eine Reform.

Entwurf in weiter Ferne

Von einem konkreten Gesetzestext ist man auch heute noch weit entfernt. Es gab noch nicht einmal politische Verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien: Zunächst muss die Arbeitsgruppe im Justizministerium einen Vorschlag ausarbeiten. "Der Bundesstaatsanwalt ist die größte Reform bei den Staatsanwaltschaften seit dem Zweiten Weltkrieg – dementsprechend sorgfältig müssen wir hier arbeiten", heißt es dazu auf STANDARD-Anfrage aus dem Justizministerium.

Hinter der scheinbar einfachen Forderung nach einer unabhängigen Weisungsspitze stehen viele komplizierte Fragen – die gut beantwortet werden müssen, wenn die Justiz nach der Reform tatsächlich unabhängiger sein soll als zuvor.

Da wäre einmal die Bestellung der Person, die einzelnen Staatsanwaltschaften künftig etwa die Einstellung oder Fortführung bestimmter Verfahren auftragen kann: Soll sie mit qualifizierter Mehrheit im Parlament gewählt werden? Aus einem Kollegialorgan innerhalb der Justiz? Oder mit einem ganz anderen Mechanismus? Damit soll sich die Arbeitsgruppe in ihrer nächsten Sitzung Ende April beschäftigen.

Parlamentsfrage

Dann gibt es noch die Frage der Verpflichtungen gegenüber dem Parlament. Irgendeine Form von Austausch mit dem Nationalrat wird es wohl geben müssen. In dieser Frage hat Zadić aber bereits im Herbst einen Pflock eingeschlagen – und zwar gegen einen fixen Unterausschuss im Nationalrat. Die parlamentarische Kontrolle müsse zwar "gewohnt hoch" sein, aber es müsse "jedenfalls verhindert werden, dass Politiker:innen in Zukunft laufende Verfahren der Justiz kontrollieren, etwa indem sie Ermittlungsschritte genehmigen", erklärt man heute im Ministerium. "Politiker:innen sollen auch keine Informationen aus laufenden Verfahren erhalten – mit Ausnahme der bereits geltenden parlamentarischen Kontrollinstrumente."

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler bekennt sich zur unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft, wie es auf STANDARD-Anfrage aus ihrem Büro heißt: "Wichtig ist aus unserer Sicht, dass eine Änderung eines solchen sensiblen Bereichs auf einer breiten Expertise fußt und nicht nur die Wünsche der Justiz selbst, die durch den Bundesstaatsanwalt kontrolliert werden soll, abbildet." Eine so grundlegende Verfassungsänderung verlange auch, dass "wir die Auswirkungen auf alle rechtsstaatlichen Vorgänge bedenken. Jedenfalls sind eine demokratische Legitimierung und eine parlamentarische Kontrolle einer derartigen Behörde notwendig."

Übrigens: Selbst wenn sich die Koalitionsparteien einig werden, brauchen sie für den Beschluss des Verfassungsgesetzes eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit die Stimmen einer der beiden großen Oppositionsparteien. Die SPÖ ist für die Reform, die FPÖ skeptisch; die Neos befürworten sie ebenfalls.

Volksbegehren für Team

Für Martin Kreutner vom Antikorruptionsvolksbegehren ist die Einführung einer unabhängigen Weisungsspitze zentral: "Wir brauchen ein System, das unabhängiger ist, das nicht mehr durch politische Einflussnahme gesteuert werden kann." Österreich würde sich mit seinem derzeitigen System nicht für die Aufnahme in die Europäische Union qualifizieren. Diese verlange nämlich mittlerweile eine sehr ausgeprägte Unabhängigkeit der Ermittlerinnen und Ermittler.

Aus Sicht der Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens soll die Weisungsspitze aber breiter gebaut sein: "Wir sprechen aus sehr, sehr gutem Grund von einer Bundesstaatsanwaltschaft und nicht von einem Bundesstaatsanwalt." Die Gefahr politischer Einflussnahme sei bei einer Einzelperson zu groß. Das Gremium bestellen sollen "Personalsenate, die aus der Justiz beschickt werden". Und: "Mit der Reform muss auch eine Entrümpelung des Berichts- und Weisungswesens einhergehen. Es soll nicht sein, dass hier bei manchen Ermittlungen von Oberbehörden Mikromanagement betrieben wird." (Sebastian Fellner, 20.4.2022)