Der Rasen ist akkurat geschnitten, der Gartenzwerg ein ironisches Detail in dieser idyllischen Welt aus Pastell, die nur aus wohlhabenden Müttern zu bestehen scheint, die einfach verdammt attraktiv und selbstbewusst aussehen. Die eine stillt im Vorgarten ihr Baby, eine andere trimmt gelangweilt ihre Hecke in Delfinform, und ihre Nachbarin möchte Bürgermeisterin von Milftown werden, dieser Fantasie-Suburb, ästhetisch irgendwo zwischen der TV-Serie Desperate Housewives und dem Eurotrash-Ohrwurm Barbie Girl.

Nicht nur der Milchmann, sorry Milfmann, traut seinen Augen nicht in diesem Videoclip von Fergie, der früheren Black-Eyed-Peas-Sängerin. 2016 brachte sie ihren Song M.I.L.F. $ auf den Markt, aus Mother I’d Like to Fuck wurde fernsehkompatibel Mom I’d Like to Follow.

Im Songtext aber ging es trotzdem zur Sache ("Let me see you milkshake") in der Welt dieser unabhängigen Luxusfrauen, die auch im echten Leben I.N.D.E.P.E.N.D.E.N.T. sind, wie es in den Lyrics extra in Großbuchstaben heißt. Das Video geizt nicht mit Star-Auftritten. Mega-Influencerin und Reality-Ikone Kim Kardashian (41) ist da ebenso zu sehen wie die Models Chrissy Teigen (36) und Alessandra Ambrosio (41) und Hip-Hop-Größe Ciara (36).

Die Botschaft ist klar: Wir sind Mütter, die extrem scharf aussehen. Und jede Menge Kohle heimbringen. Eine Pose, in der sich sonst ja eher die männlichen Hip-Hop-Stars gefallen. In M.I.L.F. $ aber ist alles umgekehrt: Männer sind nur dazu da, Dienstleistungen zu erbringen und die reichen Hauptdarstellerinnen anzuhimmeln.

FergieVEVO

Fehltritt oder Selbstermächtigung

Die Süddeutsche Zeitung fand diesen "Milchporno" einen "feministischen Fehltritt", weil er die Probleme "echter" Mütter verhöhne, die nun mal Schwangerschaftsstreifen haben. Das zeigt aber auch schön, wie man vor 15 Jahren noch dachte: Man spielte Frauen gegeneinander aus. Die perfekten waren zu perfekt, und die anderen mussten "natürlich" sein, auch so ein schwieriger Begriff, wenn es um Weiblichkeit geht.

Als Frau konnte man es einfach nie richtig machen. Jede noch so kleine Delle wurde entweder kritisiert oder verklärt. Schwierig, wenn der eigene Körper zum medialen Minenfeld wird. Der Begriff MILF war damals Selbstermächtigung und Fetischisierung gleichzeitig.

Aus historischer Distanz erweisen sich die Nullerjahre als Jahrzehnt des kultivierten medialen Sexismus, wie die Dokumentation Framing Britney Spears (2021) anschaulich zeigt. Übergriffige Moderatoren meinten damals, über die Brüste und die Jungfräulichkeit von Teeniestars wie Britney Spears Fragen stellen und lustige Bemerkungen machen zu dürfen.

Klare Grenzen

Es wurde zu einer Art von flächendeckendem gesellschaftlichem Sport, eine junge, labile Frau zu jagen und zu verspotten. Jemand, der Hilfe brauchte, wurde öffentlich erniedrigt. Heute wird diese umfassende Misogynie als toxisch bezeichnet, damals schien sie normal zu sein. Am aktuellen Pop-Phänomen Billie Eilish sieht man, dass #MeToo diesen Diskurs zum Glück verändert hat. Jungen Frauen vorzuschreiben, wie sie sich anziehen sollen, das geht gar nicht mehr.

Es gibt inzwischen Wörter, die diesbezüglich klare Grenzen setzen. Bodyshaming ist so ein Ausdruck, der bedeutet: Mein Körper gehört mir, ich muss mich darin wohlfühlen, und keiner darf darüber ein Urteil fällen, wie ich verdammt nochmal aussehe. Ob ich zu dick, zu dünn, zu alt, zu jung bin. Mein Körper, meine Regeln. Alle anderen halten besser den Mund.

In den Nullerjahren wurde aber auch ein Begriff groß, der noch 2019 auf Platz vier der meistgesuchten Pornos auf Pornhub war: MILF. Gemeint sind sexuell aktive Frauen zwischen 30 und 50.

Boomendes Genre

Populär wurde der Begriff durch die seichte Sex-Komödie American Pie. Jennifer Coolidge spielte darin eine Mutter, die mit dem Freund ihres Sohnes Sex hat und dabei erwischt wird. Sie wird im Film als MILF bezeichnet, was einen Trend in der Populärkultur auslöste. MILF-Pornos boomten, seit 2006 kürt die Pornokritikorganisation X-Rated Critics die "MILF of the Year". Im deutschsprachigen Raum klingt es allerdings schon etwas eigenwillig, wenn es bei Pornos die Kategorie "Deutsche Mutter" gibt und Filmtitel wie Deutsche Mutter hat ein Herz für junge Burschen.

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Jennifer Coolidge bei einem Fototermin 2021.
Foto: Chris Pizzello/Invision/AP

Das Genre boomt, mittlerweile gibt es etliche Darstellerinnen mit klingenden Namen wie Julia Pink, Dirty Tina, Samy Saint und Lilly Ladina, die sich darauf spezialisiert haben. Wer sich noch an den US-Wahlkampf von 2008 erinnert, der hat vielleicht auch noch die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin am Schirm.

Die Porno-Parodie Who’s Nailin’ Paylin?, in der die Adult-Darstellerin Lisa Ann die Politikerin spielte, sorgte für Rekordzahlen im MILF-Genre. Laut der Pornoplattform GameLink.com stieg der Verkauf von MILF-Filmen nach der Veröffentlichung um 357 Prozent.

Mainstream-Phänomen

Aus einem Nischenbegriff wurde aber schnell ein Mainstream-Phänomen. TV-Serien wie Desperate Housewives machten viele ihrer nicht mehr ganz so jungen Darstellerinnen zu Stars. Es gab Kaffeetassen zu kaufen, auf denen "Got Milf?" stand, und Britney Spears trug während ihrer ersten Schwangerschaft ein T-Shirt mit der Aufschrift "MILF in training".

In der US-TV-Serie Weeds nannte der Rapper Snoop Dogg eine neu gezüchtete Marihuana-Sorte "MILF-Gras". Und die deutsche Schauspielerin Veronica Ferres veröffentlichte 2018 auf Instagram ein Foto von ihr im Bett mit sexy Dessous. Sie sei 53 und fühle sich happy. Ihre Kinder meinten, sie sei die perfekte MILF.

Seit ein paar Jahren ist es ruhig geworden um den Begriff, und das ist auch gut so. Es braucht kein Label mehr für etwas, das fest im Alltag verankert ist. Altersdiskriminierung ist uncool geworden. Wer hot ist, ist einfach hot. Egal, wie alt oder jung er oder sie ist.

American Pie machte den Begriff populär.
Movieclips

Es hat eine angenehme Art von Selbstverständlichkeit bekommen, dass Frauen in der Pop-Industrie verstärkt Rechte einfordern. Wer oder was sexy ist, bestimmen sie inzwischen lieber selbst. Die Macht der Paparazzi ist geschrumpft, seitdem Stars auf Instagram freiwillig Einblick in ihr Leben geben und dabei auch ungeschönte Bilder von sich posten.

Body-Positivity ist gefragt, gefeiert werden die unterschiedlichsten Körper, diskriminierende Schönheitsideale haben ausgedient. Wer mit alten Normvorstellungen daherkommt und glaubt, er darf Madonna kritisieren, weil sie sich mit 63 sexy anzieht, outet sich nur als jemand, der nichts kapiert hat. Not your Business: Shut up!

Machtverhältnisse hinterfragen

Wahrscheinlich wird aber auch zunehmend deutlicher, wovon bisher nur Männer profitiert haben. Wer an der Macht ist, der bleibt unhinterfragt. Nicht zufällig war nie die Rede von reiferen Männern. Sie waren schlichtweg die Spitze der kapitalistischen Erfolgspyramide und konnten es sich leisten, mit viel jüngeren Frauen auszugehen, ohne zum Gespött zu werden.

Die Flavio Briatores der Welt haben längst weibliche Konkurrenz bekommen. Die Cougars, also Frauen, die einen wesentlich jüngeren Mann für eine Beziehung oder als Sexpartner suchen, werden selbstverständlicher. Altersunterschiede verschwinden als gesellschaftliches Thema. Supermodel Heidi Klum (48) fragt inzwischen keiner mehr, wie alt ihr Partner Tom Kaulitz (32) ist.

Verhältnisse können sich ändern, nichts ist in Stein gemeißelt, das zeigt ein Blick auf die Männermode: Bis zur Französischen Revolution galten die Herren als das schöne Geschlecht. Sie putzten sich heraus wie Pfauen, waren in sexy Strümpfe gezwängt und hatten eine protzige Schamkapsel um die Mitte. Ludwig XIV. war stolz darauf, Beine wie ein Balletttänzer zu haben.

Mittlerweile sind alle ein wenig müde, ständig begutachtet zu werden. Und auf Klischees reduziert zu werden, was angeblich männlich, was weiblich ist. Soll doch jede Person machen, was sie möchte. Ist ohnehin viel spannender. Die alten MILF-Mädchenrechnungen interessieren keinen mehr. (Karin Cerny, RONDO exklusiv, 7.5.2022)