Viele Väter tun nur so, als könnten sie manche Aufgaben im Haushalt nicht bewältigen.

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Mental Overload

An einem Dezemberabend gehe ich zum Elternabend unserer Kita. Angemeldete Kinder: 22, anwesende Eltern: 26, Frauenanteil: gut 60 Prozent, Redeanteil Frauen: circa 90 Prozent. Homogener kann ein Milieu nicht werden, lauter doppelverdienende Akademikerpaare.

Trotzdem sagt der Erzieher Carsten irgendwann: "Ich kann euch nur empfehlen, den Namen der Kinder in die Klamotten zu bügeln. Damit ihr die Sachen wiederfindet. Und damit eure Männer die Klamotten erkennen." Ich bin zwar anwesend, werde aber gar nicht angesprochen. Ist das nicht unhöflich oder gar ungerecht?

Erste Reaktion: Ich kenn die Klamotten meiner Tochter!

Zweite Reaktion: Eigentlich schaue ich doch jedes zweite Mal auf die Etiketten. Und die hat natürlich meine Frau eingebügelt.

Dritte Reaktion: Vor einer Woche habe ich trotzdem einen falschen Anorak mit nach Hause geschleppt.

Fuck.

Von diesem Elternabend nehme ich viele Dinge mit: herzzerreißend süße Anekdoten über den Alltag meiner Tochter mit ihren Freund:innen, einen ganzen Ordner mit ihren Kunstwerken, zwei Handynummern von anderen Eltern, um mal einen Spielenachmittag zu organisieren – und einen Verdacht, dass ich vielleicht doch nicht alles so gut im Griff habe, wie ich es mir einrede.

Plötzlich fallen mir kleine alltägliche Handgriffe und Handlungen im Haushalt auf, die ich wie selbstverständlich und meist unausgesprochen an meine Frau outsource: das Schneiden der winzigen Fingernägel zum Beispiel (sie ist ja Chirurgin und hat eine viel sicherere Hand). Das Putzen der Fenster (ich habe da einfach eine höhere Schmerztoleranz). Oder die Koordination von Kindergeburtstagen und das Besorgen von Geschenken (keine Ahnung warum, eigentlich kaufe ich sehr gerne in Spielzeugläden ein).

Viele kleine und große Dinge, an die ich nicht denken muss, weil meine Frau schon dran denken wird. Oder? "Damit das Familien- oder Paarleben klappt", schreibt Patricia Cammarata, "müssen neben den sichtbaren Aufgaben im Alltagsleben sehr viele unsichtbare Aufgaben mitgedacht (…) und dann erledigt werden." Die Berliner IT-Beraterin und Autorin hat den Begriff der "Mental Load" im deutschsprachigen Raum etabliert.

Ein einfaches Szenario

In einem Blogbeitrag auf der Webseite der Initiative Equal Care Day demonstriert sie diese Gedankenarbeit anhand eines einfachen Szenarios: "Mein Kind ist auf einen Geburtstag eingeladen." Klingt nicht besonders kompliziert, eine Angelegenheit von zwei, drei Stunden, die aber – laut Cammarata – folgende Planungsschritte umfasst:

01. Wo wohnt das Geburtstagskind?
02. Wie lauten die Kontaktdaten der Eltern?
03. Wie kommt das eingeladene Kind dorthin?
04. Wenn das eingeladene Kind von den Eltern des Geburtstagskindes in der Kita abgeholt wird, brauchen die eine Abholvollmacht?
05. Wer schreibt die Vollmacht und denkt am entsprechenden Tag daran, sie ins Elternheft zu legen?
06. Was wünscht sich das Geburtstagskind?
07. Was könnte man schenken?
08. Wo bekommt man das Geschenk?
09. Wann ist ein Zeitfenster im Familienalltag, damit man das Geschenk besorgen kann?
10. Wer verpackt das Geschenk?
11. Ist noch Geschenkpapier da?
12. Wie kommt das eingeladene Kind wieder nach Hause?
13. Gibt es parallele Termine, die schon geplant waren, die jetzt abgesagt werden müssen?
14. Kollidiert das Holen/Bringen mit anderen Verpflichtungen (weitere Kinder, die irgendwo hingebracht werden müssen, Verpflichtungen im Job …)?
15. Müssen Hausaufgaben nachgeholt werden, weil die wegen der Feier nicht gemacht werden können? …

Die erste Reaktion von vielen Männern auf diese Liste, da bin ich mir ziemlich sicher, ist ein ironisches Aufseufzen: "Man kann einfache Dinge aber auch verkomplizieren." Gleichzeitig kann ich zumindest für mich sagen, dass ich in einem derartigen Szenario nicht alle diese Fragen auf dem Bewusstseinsschirm gehabt hätte. Und tatsächlich geht es ja nicht nur um stures Abarbeiten von Arbeitsschritten.

Gefühl der Verantwortlichkeit

Laut Patricia Cammarata sei die eigentliche Belastung das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein. Das Perfide an der Gedankenarbeit ist, dass sie unsichtbar und implizit abläuft und es im alltäglichen Bewusstseinsstrom weder einen klar definierten Beginn noch ein verbindliches Ende dafür gibt; tatsächlich ist gerade das Tagesende, wenn man im Bett liegt und nicht mehr auf äußere Impulse – ein lachendes Kind, einen fordernden Kollegen, den nächsten Termin – reagieren muss, wenn alles dunkel und still ist, die rote Zone der Mental Load.

Entsprechend wenig Forschung gibt es zu dem Thema. In einer der wenigen Studien interviewte 2019 die Soziologin Allison Daminger an der Harvard University 35 heterosexuelle Paare zur sogenannten "kognitiven Hausarbeit". Die meisten der Teilnehmer:innen gaben zwar an, dass die Frauen die Mehrheit der Aufgaben erledigten, stritten aber ab, dass es sich um eine klar definierte Regelung handele. Stattdessen lobten die Männer in den Interviews die "Projektmanagerin-Qualitäten" ihrer Partnerin oder gaben an, diese hätten einfach "den besseren Überblick" über das System Haushalt.

Daminger identifiziert vier Phasen der kognitiven Arbeit im Haushalt: Bedürfnisse antizipieren, Optionen identifizieren, zwischen den Optionen entscheiden und die Ergebnisse überwachen. Ihre Untersuchung ergab, dass die Mütter den weit größeren Teil der Antizipation und der Optionenidentifikation übernahmen, "nur im Bereich der Entscheidungsfindung, der kognitiven Komponente, die wohl am engsten mit Macht und Einfluss verbunden ist, war die Beteiligung der Männer und Frauen ungefähr gleich".

Kaum Konflikte

Das Überraschendste an der Untersuchung für die Forschenden war allerdings, dass diese ungleiche Arbeitsverteilung kaum zu Konflikten bei den Paaren zu führen schien. In einer Folgestudie untersuchte die Harvard-Soziologin deshalb, mit welchen Argumenten die unangenehme Realität erklärt wurde.

Sowohl Männer als auch Frauen gaben an, dass die ungleiche Aufteilung der kognitiven Arbeit darauf zurückzuführen sei, dass ein Partner zum Beispiel besondere Arbeitszeiten hätte oder eine Frau eben "von Natur aus daran interessiert sei, organisiert zu sein" – die Teilnehmer:innen der Studie klammerten den vielzitierten Kampf der Geschlechter aus und sprachen lieber über individuelle Charaktermerkmale oder Lebensumstände.

Wenn die Soziologin Cornelia Koppetsch, die die Studie "Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist" herausgegeben hat, Paare nach der Arbeitsteilung fragt, so "geben diese stolz fifty-fifty an", erzählte sie 2019 der SZ. Aber je genauer sie nachfragt, desto weniger ließe sich die Illusion aufrechterhalten.

Studien zeigen, dass gerade wohlhabende und gebildete Familien die traditionelle Rollenverteilung leben. "Diese Menschen haben zwar Gleichstellung in der Theorie am besten verstanden", sagt der Soziologe Kai-Olaf Maiwald in einem 2020 veröffentlichten Interview in der Brigitte MOM, "jedoch leben sie in der Praxis am wenigsten." Woran das liegt? "Es geht hier häufig um ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, das von einem der Partner durchgesetzt wird (…). Und darüber scheint es eine Art wechselseitiges Stillschweigen zu geben."

Mythos der engagierten Väter

Während Paare bei Umfragen und Studien angeben, dass sie Entscheidungen gleichberechtigt treffen, begünstigen diese die Bedürfnisse und Ziele von Männern viel mehr als die der Frauen. Sozialwissenschaftler:innen nennen solche Beziehungen – Beziehungen wie meine – auch "Gender Legacy Couples". "Die Ideologie und gesellschaftliche Erwartungen haben sich schneller geändert als die Realität in den Familien", schreibt die amerikanische Psychologin Darcy Lockman in ihrem Buch All the Rage. Man redet mehr über moderne Rollenverteilungen, als die Rollen, die man lebt, zu hinterfragen – genau wie man für Klimaschutz ist und Dienstreisen trotzdem mit dem Flugzeug absolviert.

"Die Sprache der Gleichheit – der Glaube an den modernen, engagierten Vater – schafft einen Mythos, der für die Idee dieser Ehen zentral ist", schreibt Lockman. "So wird eine Art weibliche Unterordnung überdeckt, die in vielen modernen Familien des 21. Jahrhunderts sonst unerträglich wäre. Nämlich die Annahme, dass die Mutter für das Planen und Machen verantwortlich ist, es sei denn, sie trifft andere Vorkehrungen."

Strategische Inkompetenz

In vielen Versuchen hat die experimentelle Psychologie prototypische Ausreden von Männern – "Meine Frau ist einfach ordentlicher als ich" oder "Ich hätte die Glühbirne schon gewechselt, aber sie war mal wieder schneller" – auf die Probe gestellt. In einer von Sarah Thébaud geleiteten Studie aus dem Jahr 2019 wurden zum Beispiel mehr als 600 Befragte gebeten, das Bild eines Zimmers zu bewerten – in aufgeräumtem oder unaufgeräumtem Zustand. Ist das noch kreatives Chaos oder schon grobe Unordnung? Muss gehandelt werden, oder kann das bis morgen warten?

Die Antworten der Proband:innen gaben laut den Forschenden keinen Hinweis darauf, dass "die befragten Männer und Frauen unterschiedlich wahrnehmen, wie unordentlich ein Raum ist oder wie dringend es ist aufzuräumen". Männern fällt also auf, dass man mal wieder staubsaugen müsste – sie fühlen sich aber wohl eher nicht zuständig.

Ein wichtiger Unterschied bestand darin, wie die Studienteilnehmer:innen die fiktiven Bewohner:innen des Zimmers bewerteten. Wenn sie erfuhren, dass das saubere Zimmer von einer Frau bewohnt wird, fanden sie es unordentlicher, als wenn sie sich einen Mann darin vorstellten. Die Erwartungen an Frauen, was Hygiene und Ordnung angeht, sind höher – und um der sozialen Strafe zu entgehen, haben viele Frauen gelernt, diesen zu entsprechen.

"Frauen sind nicht von Natur aus besser im Planen, Organisieren oder Multitasking, von ihnen wird nur erwartet, dass sie dies häufiger tun, und sie werden so schließlich besser darin", schreibt auch Melissa Hogenboom, Autorin des Buches The Motherhood Complex.

Natürlich gibt es Hausarbeiten, bei denen ich an meine technischen Grenzen stoße: Ein Knopf, den ich am Hemd annähe, hat auch nach dem Konsum diverser Youtube-Tutorials eine geringere Halbwertszeit als das radioaktive Nuklid Jod-131 (wissen ja alle: acht Tage), an einen Riss im Stoff traue ich mich gar nicht erst ran.

Trotzdem ist mir die Ironie bewusst, dass viele der Männer, die sich als minderwertige Haushälter bezeichnen, im Berufsalltag ja hochkomplexe Aufgaben lösen. Ganz so, als würden sich die Fähigkeiten und Tugenden, die es einem erlauben, in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu reüssieren – Gründlichkeit, Eigeninitiative, Kreativität –, sofort nach Dienstschluss verflüchtigen.

Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann schrieb in seiner bahnbrechenden Studie "Schmutzige Wäsche" schon in den 1990er-Jahren von einer Art "strategischer Inkompetenz", mit der sich Männer Aufgaben wie Bügeln oder Nähen entziehen würden.

"Männer vergessen gerne Sachen. Man kann das harmlos finden", schreibt wiederum Lockman in All the Rage. "Aber die begrenzte Aufmerksamkeit ist die klare Ankündigung, dass sie nicht gestört werden können, dass die Aufgabe von jemand anderem erledigt werden muss." Auch Kaufmann urteilt: "Dieses Vergessen ist keine Frage des Gedächtnisses. Es ist ein Produkt des Defizits an verinnerlichtem Antrieb." (Tobias Moorstedt, Vorabdruck, ALBUM, 24.4.2022)