Bild nicht mehr verfügbar.

Dirigierte im Musikverein: Tugan Sokhiev.

Foto: Reuters

Klänge eines kaum bekannten Komponisten am Samstag beim Philharmonischen im Musikverein: Er wurde als Reinhold Glier in Kiew geboren, änderte die Schreibweise seines Nachnamens in Glière und wurde in der Sowjetunion erfolgreich. Er war Direktor des Konservatoriums in Kiew und unterrichtete Komposition in Moskau. Die Volksmusik aus Usbekistan und Aserbaidschan war sein Steckenpferd; so schrieb er meist in russisch-folkloristischen Tonfall mit moderaten Modernismen.

Glières Harfenkonzert wirkt also wie eines, das dem späten 19. Jahrhundert gehört. Berührend aber, mit welchem Ernst sich die Philharmoniker, Dirigent Tugan Sokhiev sowie die hochvirtuose philharmonische Harfenistin Anneleen Lenaerts bemühten. Sie brachten das etwas harmlose, aber schöne Werk mit Hingabe zum Leuchten. Subtile Zwischentöne und Bedeutungsvielfalt gibt das Stück leider kaum her.

"Bäuerliche Züge"

Da war das Werk der zweiten Konzerthälfte schon von anderem Zuschnitt: Sokhiev und das Orchester gestalteten Tschaikowskys 4. Symphonie als genau ausgehörtes Geflecht verzweigter Stimmen in den ersten beiden Sätzen. Das wirkte elegant und fein nuanciert. Wunderbar das Pizzicato-Scherzo mit grotesken "bäuerlichen" Zügen im Trio, die so sarkastisch klangen, als seien sie verwandt mit den Zerrbildern eines Schostakowitsch.

Entfesselt schließlich das Finale, das – wie vorgeschrieben – nach einem Allegro con fuoco klang. Viele waren darüber begeistert, manche auch erschrocken. Aber die Radikalität und Heftigkeit, mit der Sokhiev das Spektrum vom Flüstern bis zum gellenden, schmerzhaften Aufschrei zutage förderte, steht ziemlich genau so in den Noten. Sokhiev ist übrigens jener Dirigent, der nach Kriegsbeginn seinen Chefposten sowohl beim Bolschoi-Theater als auch als Musikchef am Opernhaus Capitole in französischen Toulouse zurückgelegt hat. (Daniel Ender, 25.4.2022)