Die Immersion in Klimts Werk will nicht so recht gelingen.

Foto: Jürgen Hammerschmied

Dem Midas der österreichischen Kunstgeschichte ist in Wien wirklich schwer zu entkommen. Schmusen mit Gustav Klimt geht bekanntlich im Belvedere – seit dem Valentinstags gibt es Einzelteile des berühmten Kuss auch als NFT zu ersteigern. Musikalisch wird’s mit seinem Beethovenfries in der Secession, die Entwürfe für sein Stoclet-Fries befinden sich im Mak, wo bis März auch die Schau Klimts Lehrer zu sehen war. Insgesamt ist es ohnehin schwieriger, Museen aufzuzählen, die kein wichtiges Werk des Künstlers in petto haben, als solche, die es tun.

Während der Wiener Jugendstil vor allem Touristen erfreut, mag sich bei Einheimischen beim Anblick von Gold und Schnörkeln schon längst ein Sättigungsgefühl eingestellt haben – man kann sich ja auch nicht unendlich viele Mozartkugeln hineinstopfen.

Ausstellungsmacherinnen können auf solche Befindlichkeiten freilich keine Rücksicht nehmen, besonders wenn sich Klimts Geburtstag zum 160. Mal jährt, wie das heuer im Juli der Fall sein wird. In der Albertina Modern begeht man Klimts Wiegenfest im Keller – fast, als würde man es ein bisschen heimlich tun wollen, damit sich der Meister nicht im Grab umdreht.

Klimt trat ja 1897 aus dem Künstlerhaus, in dem sich heute der Albertina-Ableger befindet, aus. Seine Mitbegründung der Secession machte hinlänglich klar, was er von dem Ort inklusive seiner Künstler und deren Kunstbegriff hielt.

Aufregende Unkeuschheit

Dabei begann Klimt selbst im Stil des Historismus, von dem er sich dann in den 1880ern lossagen sollte – und so beginnt auch die chronologische Schau in der Albertina Modern, die 98 Zeichnungen Klimts zeigt, mit Werken aus dieser Zeitperiode. Den Höhepunkt bilden die Aktzeichnungen von Frauen, bei denen sich Klimts voyeuristischer "Male Gaze" mit einer unfassbaren Sensibilität und Zärtlichkeit vermengt, an denen man sich nicht sattsehen kann.

Gustav Klimt,
Liegender Halbakt, 1914/15,
Bleistift auf Papier
Foto: ALBERTINA, Wien

Es sind aber nicht nur diese erotisch-expressiven Blätter, die einem die Augen für Klimts Menschenkenntnis öffnen. Egal, ob es sich um allegorische Figuren oder reale Personen handelt – als Zeichner beherrscht Klimt nicht nur die Oberfläche, sondern vermag es, mit ein paar wilden Strichen die Seele auf Papier zu bringen.

Gustav Klimt,
Studie für "Unkeuschheit" im Beethovenfries, 1901,
Schwarze Kreide auf Papier
Foto: Albertina, Wien

Wie lebhaft und aufregend seine Studie der Unkeuschheit (1901) im Gegensatz zur finalen, stilisierten, deutlich kälteren Version im Beethovenfries aussieht! Diesen Vergleich ermöglicht die Schau übrigens nicht, Referenzwerke werden nicht abgebildet. Die Studien – hauptsächlich in Schwarz-Weiß – sollen für sich stehen. Ein Gewinn.

Schlampige Verwurstung

In der Marx-Halle macht sich indes das Multimediaspektakel Klimt – The Immersive Experience breit. Bereits letzten Dezember war von anderen Veranstaltern eine Erlebnisausstellung mit van Gogh in ihrem Zentrum zu sehen – DER STANDARD berichtete. Spektakel wie diese sollen der breiten Masse, die mit Museen wenig anfangen kann, einen Zugang zu großen Meistern der Kunstgeschichte bieten. Natürlich will auch Geld damit verdient werden – allein der Geschenkeshop in der Marx-Halle ist größer als die Wohnung einer durchschnittlichen Kleinfamilie.

Foto: Jürgen Hammerschmied

Bevor Besucherinnen den immersiven Raum betreten, werden sie durch ein Labyrinth von Informationstafeln zu Klimts Leben und für Instagram optimierten Fotostationen gelotst, dann geht es schon los mit der halbstündigen Experience: Man sitzt also in einem Raum, über dessen vier Wände und Boden das animierte Œuvre Klimts huscht. Nun ist das Problem dabei gar nicht so sehr der Entertainment-Zugang an sich, der Kunstpuristen vielleicht erzürnen mag. Man sollte eher die Frage stellen, ob das Versprechen des Eintauchens auch erfüllt wird. Die Antwort lautet: nein.

Foto: Jürgen Hammerschmied

Die Projektionen und die ganze Schau an sich sind dermaßen billig umgesetzt, dass jedes aktuelle Computerspiel im Vergleich wie ein Gruß aus der Zukunft wirkt. Mit 3D-Mapping-Technologien, wie die Schau sie verwendet, sind inzwischen ganz andere Dinge möglich. Diese umzusetzen hat wohl die Kalkulation nicht zugelassen. Vermutlich hätte sich Klimt also mehr über diese schlampige Verwurstung seines Werks als über die Rückkehr ins Künstlerhaus geärgert. (Amira Ben Saoud, 26.4.2022)