Führte das RSO zur Höchstleistung, Joana Mallwitz (36).

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Was war das gerade, der Beginn einer neuen Zeitrechnung? Jedenfalls haben Joana Mallwitz und das ORF-RSO Wien am Sonntagabend im Musikverein vergilbte Schubert-Bilder wie ein reinigendes Gewitter hinweggefegt. Schubert, der resignationsaffine Softie? Vorbei! Bei der Interpretation seiner achten Symphonie wähnte man sich auf einem Tummelplatz putzmunterer Kavallerieregimenter. Mit der Eleganz einer Degenfechterin führte Dirigentin Mallwitz durch das weitläufige Terrain der großen C-Dur-Symphonie und injizierte dem Orchester hochdosierte Energie – wie ein Vulkan mit einem ausgeklügelten Magmaableitungssystem. Beseelt jede Emotionsdarstellung, chirurgisch präzise die abrupten Stimmungswechsel, organisch die fließenden.

Szenische Lebendigkeit

Und dann die szenische Lebendigkeit ihrer Interpretation: Plötzlich hatte Schubert die handfeste Dramatik einer (frühen) Verdi-Oper oder die kantable Leichtigkeit von Bellini. Aber selbst das Lyrische bewahrte bei Mallwitz Kontur. Stets straff, doch niemals steif, mit federnder Vitalität und wildem Herzen wurde die Achte durchlebt: absolute Weltklasse! Hat eh jemand diese Sternstunde festgehalten? Es wäre eine Referenzaufnahme.

Im ersten Teil von Mallwitz’ Porträtkonzert konnte man in die Zukunft hören: Bei Alban Bergs Symphonischen Stücken aus seiner Oper Lulu sang Vera-Lotte Boecker das Lied der Lulu – so fulminant wie vielversprechend. Ende Mai nächsten Jahres wird die Deutsche die komplette Lulu singen, als letzte Premiere der ersten Spielzeit von Stefan Herheims "Musiktheater an der Wien". Das RSO Wien ist wieder mit von der Partie, Joana Mallwitz leider nicht. (sten, 25.4.2022)