Kleine Änderung: Seit letztem Jahr gibt es ein zusätzliches Becken.
Foto: Nana Siebert

Für Sie mag der Sommer astronomisch am 21. Juni beginnen oder gefühlt an dem Tag, an dem es endlich erstmals über 25 Grad hat. Bei mir ist das ein wenig anders. Mein Sommer beginnt jedes Jahr am 1. Mai, da kann es nieseln und eiskalt sein, mir egal.

Am 1. Mai nämlich öffnet das Stadionbad (nur in den beiden Corona-Jahren, da war man ein wenig später dran) – und ich habe seit 40 Jahren keine Saisoneröffnung verpasst. Ehrlich gesagt ist es bei Regen sogar am schönsten: Es sind weniger Leute da, man kann in Ruhe seine Bahnen ziehen auf den wie immer nicht enden wollenden fünfzig Metern.

Nach einer Dreiviertelstunde steige ich dann wieder raus, trockne mich ab, werde im Regen wieder nass, der Bademeister nickt mir zu. Man wundert sich nicht, man kennt sich.

23 Freibäder gibt es in Wien, jeder Mensch braucht Abwechslung, will was Neues sehen. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Nur mich nicht. Ich brauche nicht, ich will nicht. Ich bin schon als Kleinkind hier im Stadionbad gewesen, mein Vater hat meine Schwester und mich ohne Schwimmflügerln mit ins Sportbecken genommen. "Nur so lernt man schwimmen", sagte Papa.

Keine Änderung: Bei Saisonbeginn geht es ins Bad.
Foto: Nana Siebert

Ich habe hier mein erstes Eis und mein erstes Langos gegessen, meinen ersten Köpfler gemacht, mir meinen ersten Sonnenbrand geholt. Ich wurde hier das erste Mal von einer Biene in die Ferse gestochen und von meinem ersten Freund quietschend ins Becken geschubst. So vollzieht sich meine kindliche Prägung: Sommer ist Stadionbad.

Die Topografie hat sich in all den Jahren, seit ich es kenne, nicht groß verändert, alle Wiesen und alle Schwimmbecken befinden sich dort, wo sie für mich hingehören. Auf den Stufen, wo wir damals als Teenies lagen und – an guten Tagen – knutschten, liegen noch immer knutschende Teenies, die Familien mit Campingstühlen und Tupperboxen ziehen noch immer auf die Wiese ganz hinten, die Grillkörper aalen sich noch immer am Rand des Wellenbeckens. Das Stadionbad bleibt immer dasselbe. Das macht viel aus. Ich kann mich hier fühlen wie Marcel Proust, als er eine Madeleine in seinen Tee tunkte. Bei mir ist es eben der Geruch von Langos. (Nana Siebert, 28.4.2022)