Dringt auf ein Wunder: Kardinal Schönborn erhofft sich vom Herrn im Himmel die Verleihung von viel kognitiver Kraft.

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Ein Murren ging letzthin durch die schütter gewordenen Reihen der heimischen Katholikinnen. Christoph Schönborn, als Wiener Erzbischof sonst die Nachdenklichkeit in Person, hatte einen seiner öffentlichen Auftritte genutzt, um an Gott im Himmel eine Aufforderung zu richten. Der Herr, bereits in der Bibel erfolgreich als Brotverteiler in unwirtlichen Landstrichen hervorgetreten, möge "Hirn regnen" lassen.

Nun ließ Schönborn unerklärt, wie er sich die Ausfolgung von frischer Gehirnmasse an verstockte Corona-Leugner im Einzelnen vorstellt. Das Thema der Verteilungsgerechtigkeit hat bekanntlich schon Christus in der Bergpredigt umgetrieben. Aber bereits einige Jahrhunderte später ließ die Kirche so manches Unrecht, verübt durch gefräßige irdische Zwangsherren, lieber gleich ganz auf sich beruhen.

Auf mich, einen dicklichen Babyboomer, übten katholische Messfeiern seit jeher eine stark demoralisierende Wirkung aus. Zum Geschepper verstimmter Akustikgitarren wurde uns Messteilnehmern mitgeteilt, dass "der Herr" – gegen jeden Anschein – persönlich anwesend sei. Die Reformära Bruno Kreiskys tat das Ihrige, um eine Säkularisierung zu bewirken. Der Herr schien, um im Bild zu bleiben, öfter einmal abwesend.

Rege Anteilnahme

Und doch nahmen selbst maßvoll Gläubige – laue Christen wie meine beiden herzensguten Eltern – mit jeder Faser ihres Herzens regen Anteil am Schicksal der Mutter Kirche. Ihr Lieblingsthema dabei: Das "Zweite Vatikanische Konzil" habe durch die Umstellung des Messbetriebes auf die jeweilige Landessprache das liturgische Erlebnis verhunzt. Nur im atembenehmenden Dunst dicker Weihrauchschwaden lasse sich die Existenz Gottes wesenhaft erahnen.

Meine Mutter beschied mir eines Tages, als ich wieder nicht recht wusste, was ich beichten sollte: "Der liebe Gott ist kein Landgendarm!" Sie selbst saß, mit einem geschiedenen Mann "in Sünde" verehelicht, manchen trüben Sonntag verstohlen, weil sakramental geächtet, auf einer hinteren Kirchenbank. Mag Gott im Himmel mit der Ausfolgung von Hirn gegeizt haben: Auf arme Menschen wie meine Mutter regnete es vornehmlich Traurigkeit. (Ronald Pohl, 27.4.2022)