Um starke Wehen und versiegende Herztöne eines Babys geht es in einem Zivilprozess in Wien. Die Eltern kämpfen um die finanzielle Absicherung ihrer schwerstbehinderten Tochter. Zahlen will niemand.

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Gegen Ende der Verhandlung war die Stimmung etwas rau. Im Verhandlungssaal 6 des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien saßen einander die Richterin, ein Gynäkologie-Primar als Gerichtssachverständiger sowie Dr. K. gegenüber – Thema waren rund dreieinhalb Stunden, in denen sich Schicksale entscheiden sollten. Es ging um die Zeit zwischen der Ankunft von Frau M. in einer Privatklinik in Wien-Döbling und der Geburt ihrer Tochter Minna – und um die Frage, was genau in dieser Zeit geschah.

Am 17. August 2018 um 21.44 Uhr kam das Baby zur Welt. "Avital", wie ein Gutachter sagt. Ein Kinderarzt hat es reanimiert. Minna hat Pflegestufe 7, wird vermutlich nie schlucken, trinken, essen, sitzen, gehen können. Auch wenn der Haftpflichtversicherer des Arztes, der die Geburt leitete, ihre Lebenserwartung mit 81 Jahren bemisst. Ärzte im AKH, auf dessen Kinderintensivstation das Baby lang behandelt wurde, rieten Minnas Eltern, rechtliche Schritte einzuleiten: Bei der Geburt sei wohl ein Fehler passiert.

Vergleichsgespräche geplatzt

Lange bemühten sich die Eltern um eine außergerichtliche Lösung jenes Problemaspekts, der sich in Geld messen lässt: Sie wollen dauerhafte finanzielle Absicherung für den immensen pflegerischen Aufwand für ihre Tochter. Der Versicherer hat eine Akontozahlung von 300.000 Euro geleistet, das Geld ist inzwischen aufgebraucht.

Als die Vergleichsgespräche gescheitert waren, haben Minna und ihre Eltern den Mediziner und seinen Haftpflichtversicherer, die Donau Versicherung, geklagt. Sie werfen dem Arzt vor, falsch auf die immer schlechter werdenden Herztöne des Babys reagiert zu haben. Er wehrt sich: Die Mutter habe sich gegen einen Kaiserschnitt (Sectio) ausgesprochen, obwohl er sie auf die Risiken aufmerksam gemacht habe, sollte die Sectio unterbleiben. Das wiederum bestreiten die Eltern.

Juristischer Teufelskreis

Die Crux an der Sache: Die Versicherung des Arztes haftet mit maximal fünf Millionen Euro, der Arzt fürchtet, persönlich zur Kassa gebeten zu werden. Er bestreitet, einen Kunstfehler gemacht zu haben.

Genau darum ging es bei der Verhandlung am Donnerstag, bei der auch Minnas Vater dabei war. Zuerst schilderte eine Hebamme, die die Schwangere gegen 18 Uhr in Empfang genommen hatte, ihre Erinnerungen. Deren Sukkus: Die Wehen seien stark gewesen, das CTG (mit dem Wehen und die Herztöne des Kindes gemessen werden) sei bereits zu diesem Zeitpunkt "pathologisch", also auffällig, gewesen. Als sie von einem Kaiserschnitt sprach, habe die Frau "normal darauf reagiert, so wie alle Frauen, die mit einer Spontangeburt rechnen". Jedenfalls habe sie Dr. K., die Hebamme und die Anästhesistin informiert, mit dem Hinweis "dringender Handlungsbedarf". Danach war ihr Dienstschluss.

"Keine Sectio"?

Um die Stunden, die folgten, ging es dann bei der Befragung des Arztes. Sofort nach dem CTG habe er die Lage mit den Eltern besprochen: Dem Baby gehe es nicht gut, man müsse einen Kaiserschnitt machen. Die Mutter habe "sehr, sehr heftig emotional" reagiert, "ich will nicht sagen hysterisch", sagte der Arzt vor Gericht. Und: "Sie sagte sehr laut: keine Sectio!" Er habe dennoch vor der Tür telefonisch alles für einen Kaiserschnitt vorbereitet – zu dem es freilich nicht kommen sollte. Minna kam um 21.44 Uhr mithilfe einer Saugglocke zur Welt.

Nicht müde wurde die Richterin, Details zu erfragen, wie der Arzt "versucht hat, die Patientin von der Notwendigkeit eines Kaiserschnitts zu überzeugen". Das ist auch deswegen nötig, weil in der Patientenakte nichts von einer Aufklärung zu finden ist und kein Revers, den die werdende Mutter unterschrieben hätte. Er sei ja nicht der, der dokumentiere, erklärte der Arzt dazu.

Keine Zeit zum Diskutieren

Zwei Mal habe er die Patientin auf die Sectio angesprochen, um 18.23 und 19.50 Uhr. In den drei Stunden "war doch Zeit genug, die Frau zu überzeugen?", fragte die Richterin. Dr. K.: "Es war eine äußerst angespannte Situation, wir haben nicht drei Stunden Zeit zum Diskutieren." Und: "Ich hatte zwei Ablehnungen, was sollte ich tun?"

Warum er nicht mit dem Vater gesprochen habe, wollte die Richterin wissen. Warum der sich nicht an ihn gewandt habe, das könne er nicht sagen, antwortete der Mediziner. Väter seien bei Geburten generell nicht in seinem Fokus, meinte er sinngemäß. Und: Er selbst sei eben "keine Plaudertasche", habe nicht den ganzen Tag den Mund offen, sei ruhig und besonnen – und genau deswegen recht gefragt als Geburtshelfer.

Ob er die Mutter darüber aufgeklärt habe, dass das Kind schwerstbehindert sein oder sterben könnte, wenn man keinen Kaiserschnitt macht? Dr. K.: "Nein, das wäre unfair. Oder?" An dieser Stelle war die anfangs beschriebene Kühle im Saal zu spüren. Was sich Minnas Vater bei diesem Satz gedacht hat, ist nicht bekannt.

Im Juni geht die Verhandlung weiter. Minna muss warten. (Renate Graber, 29.4.2022)