Ein Gasstopp ist Russlands wirtschaftliche Waffe gegen Europa. Unternehmen bereiten sich vor – auch rechtlich.

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"Mit dem Gas ist es ein bisschen so wie mit Covid-19", sagt Stefan Huber. "Kritisch wird die Situation wohl erst im Herbst, vorbereiten sollte man sich aber jetzt schon."

Der Anwalt und Partner bei Cerha Hempel berät mit seiner Kollegin Claudia Hanslik-Schneider mittlerweile laufend Unternehmen, die für einen möglichen Versorgungsengpass gerüstet sein wollen. Denn ein Gaslieferstopp Russlands würde nicht zuletzt auch rechtliche Fragen aufwerfen: Wer haften für die Schäden, die Betriebe durch Produktionsausfälle erleiden? Müsste der Staat bezahlen, wenn er im Fall eines Engpasses bestimmte Unternehmen bevorzugt?

Österreich hat bereits Ende März die Frühwarnstufe für einen Notfallplan ausgerufen. Hinter den Kulissen arbeitet die Regierung seit Monaten daran, sich auf das Worst-Case-Szenario vorzubereiten.

Energielenkungsgesetz

Rechtliche Basis dafür ist das Energielenkungsgesetz. Kommt es tatsächlich zu einem Engpass – egal, ob bei Kohle, Öl oder Gas –, kann Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine Verordnung erlassen. Darin legt sie je nach Versorgungslage fest, wer weiterhin beliefert wird und Gas verbrauchen darf.

Dass private Haushalte im Ernstfall bevorzugt werden, damit sie weiter heizen können und Warmwasser haben, hat Gewessler bereits mehrfach klargestellt. Schwieriger ist die Situation bei Unternehmen, denn dort würden sich notgedrungen schwierige Abwägungsfragen stellen: Welche Betriebe können den Gasstopp am ehesten verkraften? Wer soll aufgrund seiner Bedeutung für die Versorgungssicherheit geschützt werden?

Mittlerweile stehen die Unternehmen im Ministerium Schlange und versuchen, ihre Bedeutung für den Standort hervorzuheben. Und sie überlegen, wie sie sich im Fall eines russischen Gasboykotts schadlos halten könnten.

Vorteil für Öl und Kohle

Gerade beim Gas sind ihre Möglichkeiten allerdings beschränkt, sagt Hanslik-Schneider. Denn Entschädigungen sind im Gesetz zwar vorgesehen, die Regelung gilt jedoch nur für flüssige und feste Brennstoffe – also für Öl und Kohle. Wer aufgrund einer Maßnahme kein Gas mehr beziehen darf, hat in den allermeisten Fällen keinen gesetzlichen Anspruch gegen den Staat.

"Es gibt nur eine Ausnahme", erläutert Hanslik-Schneider. EU-Länder können für den Fall von Engpässen Solidaritätsabkommen abschließen. Österreich hat das zuletzt etwa mit Deutschland gemacht; das Abkommen trat Anfang März in Kraft. Bei einem Engpass müssten sich die Länder also gegenseitig mit Gaslieferungen unterstützen. Wären österreichische Unternehmen dadurch benachteiligt, hätten sie Anspruch auf Ersatz.

Warum Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – bei Gas grundsätzlich keine Entschädigungen bezahlt, kann Anwalt Huber nur schwer nachvollziehen. Verfassungsrechtlich stelle sich jedenfalls die Frage, ob die unterschiedliche Behandlung von Kohle und Öl auf der einen und Gas auf der anderen Seite überhaupt gerechtfertigt ist. Aus Sicht von Huber könnten betroffene Unternehmen den Verfassungsgerichtshof anrufen und das Gesetz auf seine Verfassungskonformität überprüfen lassen.

Kein Ersatz von Lieferanten

Denkbar wäre laut Thomas Rabl, Rechtsanwalt bei KWR, theoretisch auch eine Klage auf Amtshaftung gegen die Republik. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Ministerin bei der Lenkungsverordnung gröbere Fehler macht.

Das wäre etwa dann der Fall, wenn die Verordnung unverhältnismäßig über das Ziel hinausschießt, indem sie zum Beispiel Großabnehmer sofort zur Gänze vom Netz nimmt, obwohl die Gaszufuhr aus Russland nur leicht gedrosselt ist. "Über die Amtshaftung Ersatz zu bekommen wäre daher ein steiniger Weg", sagt Rabl.

Eine allgemeine, aktive Pflicht des Staates, die Gasversorgung zu diversifizieren und über die bestehenden Maßnahmen hinauszugehen, gibt es laut Rabl nicht. Die Regierung vor Gericht pauschal dafür verantwortlich zu machen, zu wenig nach Alternativen gesucht zu haben, sei nur schwer denkbar.

Gazprom schwer greifbar

Auch bei den Lieferanten der Betriebe wäre laut dem Anwalt je nach Vertragsgestaltung wahrscheinlich wenig zu holen. Kommt es zu Lenkungsmaßnahmen, sind Ansprüche gegenüber den Energieversorgern gesetzlich ausgeschlossen. "Eine rechtsgültige Maßnahme entpflichtet die Versorger in ihrem Anwendungsbereich", sagt Rabl.

Auch die russische Gazprom wäre im Ernstfall nur schwer greifbar. Schließlich könnte sie sich in einem Rechtsstreit darauf berufen, dass sie selbst nicht liefern kann, ohne gegen allfällige staatliche Verbote Russlands zu verstoßen. Letztlich sei jedoch entscheidend, wie derartige politische Risiken vertraglich berücksichtigt wurden, erklärt Rabl.

Unterm Strich sind die rechtlichen Möglichkeiten für Unternehmen begrenzt. Hanslik-Schneider sieht auch hier eine Parallele zur Pandemie: "Im Ernstfall wäre der Leidensdruck der Wirtschaft wohl so groß, dass der Staat freiwillig in die Tasche greift." (Jakob Pflügl, 2.5.2022)