Allein mit Reichen- und Vermögenssteuern lässt sich ein dichtes soziales Netz nicht finanzieren. Das geht nur über Massensteuern.

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Der Ruf nach Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer gehört zu den Stehsätzen in der heimischen Politik und erhielt an diesem 1. Mai zusätzliche Munition durch die hohe Inflation. ÖVP, FPÖ und Neos stellen diese Forderung regelmäßig mit Leidenschaft auf, SPÖ und Grüne etwas gedämpfter.

Umso erstaunlicher ist es, dass sich hier über die Jahre nichts bewegt hat. Mit Beitragssätzen von fast 40 Prozent des Bruttogehalts, die zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern geteilt werden, gehört Österreich weiterhin zu den internationalen Spitzenreitern bei der Belastung auf Arbeitseinkommen – und das noch vor der Einkommenssteuer. Diese Kosten behinderten die Schaffung neuer Arbeitsplätze, kritisieren etwa die Ökonomen der OECD und des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), und dämpften die Kaufkraft.

Blick in das Zahlenwerk

Warum aber kommt die große Entlastung nicht? Ein Blick in das Zahlenwerk trägt zur Klärung bei: Mehr als die Hälfte der Beiträge fließt in die Pensionsversicherung. Sie finanzieren ein Pensionssystem, das Menschen im Ruhestand eines der höchsten Ersatzraten der Welt bietet und so die Altersarmut effektiver bekämpft als etwa in Deutschland. Auf diese Leistungen will kaum jemand verzichten; der Druck geht eher in Richtung einer Ausweitung.

Der mit knapp acht Prozent zweitgrößte Brocken sind die Krankenversicherungsbeiträge. Auch hier ist eine Senkung angesichts der ständig steigenden Kosten in der Medizin und einer alternden Gesellschaft unvorstellbar. Eine im Zuge der jüngsten Steuerreform geplante Senkung für Niedrigverdiener wurde im letzten Moment abgeblasen, weil die Gesundheitskasse um ihre Finanzierung fürchtete.

Auch bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung (sechs Prozent) gibt es kaum Spielraum; die aktuellen Reformvorschläge zielen eher auf eine Erhöhung als eine Senkung der Leistungen. Die übrigen Posten, darunter die Wohnbauförderung, fallen kaum ins Gewicht.

Lücke über Steuern füllen

Wer Beiträge – egal ob vom Dienstgeber oder Dienstnehmer – spürbar senken, aber Leistungen nicht kürzen will, muss die Lücke über Steuern füllen. In anderen Staaten ist das die Regel, und auch im österreichischen Pensionssystem ist der Zuschuss aus dem Budget stetig gewachsen. Dennoch bleibt Österreich dem Versicherungsprinzip verpflichtet: Pensionsansprüche werden durch die eigenen Beiträge und die des Arbeitgebers im Laufe des Arbeitslebens rechtskräftig erworben. Diese Praxis rechtfertigt auch die Selbstverwaltung durch die Sozialpartner.

Ein steuerfinanziertes Sozialsystem würde sowohl das Versicherungsprinzip als auch die Selbstverwaltung unterlaufen. Kommt das Geld für Pensionen und medizinische Leistungen aus dem Budget, wird der Sozialstaat von der jeweiligen politischen Stimmung abhängig. Deshalb zögern viele Gewerkschafter bei der an sich populären Forderung nach einer Entlastung.

Massensteuern für soziales Netz

Und die dann notwendigen höheren Steuern würden wieder jene treffen, die zuvor entlastet werden. Denn allein mit Reichen- und Vermögenssteuern lässt sich ein dichtes soziales Netz nicht finanzieren. Das geht nur über Massensteuern.

Die hohe Abgabenlast auf Arbeit ist der Preis, den die Gesellschaft für den starken Sozialstaat zahlen muss. Der Ruf nach Entlastung wird daher auch in Zukunft eine hohle Phrase bleiben. (Eric Frey, 2.5.2022)