Kartnig holte Osim nach Graz, mit Osim kam der Erfolg.

Foto: Gepa / Franz Pammer

Wenn es darum ging, einen Wirbel zu machen, sagte Ivica Osim zu Hannes Kartnig: "Präsident, machen Sie das, Sie haben ein viel besseres Organ als ich." Kartnig lobt die Bescheidenheit des am Sonntag verstorbenen Jahrhunderttrainers von Sturm Graz. Ob er Osim immer verstanden hat? "Aber wo!"

STANDARD: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vom Tod von Ivica Osim erfuhren?

Kartnig: Ich hab mich an diesen tollen, hochanständigen Mann erinnert, der er war. Und ich hab mir gedacht, dass der Trainerjob kein toller Beruf für die Gesundheit ist, sondern ein aufreibender. Osim war ja immer mit Herz und Seele dabei.

STANDARD: Wie gut waren Sie mit ihm und er mit Ihnen? Die berufliche Beziehung endete 2002 unerfreulich. Osim klagte Sie nach seinem Rücktritt wegen Mobbings, bekam gut 170.000 Euro an Abfertigung und Restgeldzahlungen zugesprochen, die er karitativen Einrichtungen spendete.

Kartnig: Es stimmt, ab und zu gab es Diskussionen, und ich hab einiges gesagt, was mir später leidgetan hat. Wirklich bös waren wir nie aufeinander. Wenn ich jetzt von Hassliebe lese und höre – so ein Blödsinn! Ums Geld ging es nie, der Osim war ein sehr bescheidener Mensch. Wir haben uns immer wieder gesehen, bei meinem Siebziger im Oktober war er mit der ganzen Familie da.

STANDARD: Sie sind 1992 Sturm-Präsident geworden, Heinz Schilcher war Manager des Vereins, und Osim kam 1994. Wie ist das gelaufen?

Kartnig: Ich hatte andere Trainer im Auge. Doch Schilcher hat gesagt, ich soll abwarten. Schilcher und Osim haben in Straßburg gemeinsam gespielt, waren befreundet. Mir hat der Name Osim nichts gesagt, ich hab mich ja nicht ausgekannt. Dann haben wir den Osim – ich war überrascht, wie groß er ist! – vom Flughafen abgeholt, sind mit ihm sofort zum Training. Er hat mit uns zehn Minuten von draußen zugeschaut, dann hat er gefragt: ,Was die da machen, was ist das für eine Sportart?‘ Der Schilcher hat geantwortet: ,Die spielen seit zehn Jahren so.‘

STANDARD: Trifft es wirklich zu, dass es in den ersten fünf Jahren keinen schriftlichen Vertrag zwischen Sturm Graz und Osim gab?

Kartnig: Wir haben alles per Handschlag ausgemacht, mehr brauchte es nicht. Dem Osim war das Finanzielle nicht so wichtig. Das meiste hat er heimgeschickt zu seiner Familie – bis Graz seine zweite Heimat geworden ist. Er hat sich hier sehr wohl gefühlt. Wir waren die drei Musketiere, der Heinz, der Osim und ich. Der Heinz ist auch schon fast vier Jahre tot, jetzt ist nur noch ein Musketier übrig, das bin ich.

STANDARD: So wie auf dem Spielfeld das sogenannte magische Dreieck Vastic-Reinmayr-Haas zusammenspielte, gab es neben dem Feld das Dreieck Osim-Kartnig-Schilcher. Wie waren da die Aufgaben verteilt?

Kartnig: Der Osim war ein guter, vielleicht sogar für einen Trainer ein zu guter Mensch. Klar war, dass ich für die groben Töne verantwortlich war. Einmal hab ich von der Polizei erfahren, dass etliche Spieler nach einem Sieg bis halb fünf in der Früh unterwegs waren. Ich hab dem Osim gesagt, er soll in der Kabine Wirbel machen. Er hat gesagt: "Präsident, machen Sie das, Sie haben ein viel besseres Organ als ich."

STANDARD: Stimmt es, dass Sie ihm einmal quasi aus heiterem Himmel ein Konzert geschenkt haben?

Kartnig: Das war 1997, wir haben im Juni in der letzten Runde in Salzburg gespielt, die sind Meister geworden, wir Dritter. Auf der Heimfahrt lief Sempre, sempre von Al Bano & Romina Power im Radio. Ich hab gemerkt, das taugt dem Osim extrem. In Graz seh ich ein Plakat, dass Al Bano und Romina Power ein Konzert im Schwarzl-Zentrum spielen. Ich bin gleich hin und hab an Ort und Stelle mit dem Manager ausgemacht, dass sie bei der Sturm-Weihnachtsfeier auftreten. Da hat der Osim vor Freude geweint.

STANDARD: Ein neuer Mannschaftsbus, den Sie in dieser Zeit gekauft haben, hat ihn weniger beeindruckt.

Kartnig: Unser alter Bus war eine echte Kraxn, nach einem Spiel bei der Austria ist er am Verteilerkreis stehen geblieben, und die Spieler haben ihn anschieben müssen. Da bin ich dann extra nach Spanien geflogen und hab beim Hersteller Irizar einen neuen Bus bestellt. Der hat alle Stückln gespielt, die haben mir sogar glaubhaft versichert, der Bus ist toller als die Busse von Real Madrid und Barcelona. Ich hab mir gedacht: "Gut, das passt zu uns." Dann gab es eine große Präsentation vor der Presse, und der Osim stellt sich hin und sagt: "Der Bus ist ja schön, aber er kann keine Tore schießen." Ein Wahnsinn!

STANDARD: Sturm hat unter Osim viele Tore geschossen, manchmal auch einige kassiert, ein 0:0 hatte Seltenheitswert. Der Champions-League-Gruppensieg im November 2000 vor Galatasaray, den Glasgow Rangers und Monaco war ein Highlight.

Kartnig: Und auch wenn wir verloren haben, hat es oft Lob gegeben. Nach einem 1:2 bei Manchester United hat ihr Trainer Alex Ferguson zu mir gesagt: "Präsident, Sie können stolz sein auf Ihre Mannschaft – die spielt Fußball." Von Real-Madrid-Trainer Guus Hiddink gab es ein ähnliches Lob, obwohl uns die zweimal ordentlich paniert haben.

STANDARD: Osim hatte Mathematik und Philosophie studiert. Speziell der Philosoph kam oft zum Vorschein. Haben Sie ihn immer verstanden?

Kartnig: Aber wo! Oft genug hab ich mir gedacht: "Was redet der da jetzt eigentlich?"

STANDARD: Sollte in Graz eine Straße oder ein Platz nach Ivica Osim benannt werden?

Kartnig: Ich bin dafür. Viele andere haben, obwohl sie niemand kennt, einen Platz oder eine Straße. Und den Osim kennen alle. (Fritz Neumann, 3.5.2022)