Fünf Sanktionspakete lang ist Europa davor zurückgeschreckt, Energie als Teil der Strafmaßnahmen gegen Russland einzusetzen. Damit ist nun Schluss. Rohöl aus Russland, aber auch Benzin und Diesel aus dortigen Raffinerien sollen längstens zum Jahresende, spätestens Anfang des kommenden Jahres vom europäischen Markt verschwinden. Erdgasverzicht wollen sich die EU-27 für die nächste oder übernächste Sanktionsrunde in der Hinterhand behalten.

Rohöl aus Russland, aber auch Benzin und Diesel aus dortigen Raffinerien sollen zum Jahresende, allerspätestens Anfang des kommenden Jahres vom europäischen Markt verschwinden.
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Ein Gasstopp würde einzelnen Ländern in Europa tatsächlich viel mehr wehtun als der bevorstehende Rohölverzicht. Russland verdient zwar auch an Gas ganz schöne Summen, aber bei weitem nicht so viel wie mit dem Verkauf von Öl. Deshalb ist der von Europa beschrittene Weg, Gas für den Moment Gas sein zu lassen und sich auf Öl zu konzentrieren, der richtige. Russland wird damit von einer wichtigen Einnahmenquelle abgeschnitten.

Es ist aber auch der einzig mögliche Weg im Moment. Forderungen nach einem Gasboykott haben massiven Widerstand nicht nur vonseiten Ungarns, Tschechiens und der Slowakei ausgelöst; auch Länder wie Deutschland und Österreich, die ebenfalls in hohem Maße von Gas aus Russland abhängig sind, traten hart auf die Bremse. Nicht weil sie prinzipiell dagegen wären, ganz und gar nicht. Einzig und allein deshalb, weil die wirtschaftlichen Verwerfungen enorm, die Konsequenzen nicht zuletzt für das Zusammenleben der Menschen unabsehbar wären. So einen Schnitt hat es schlicht noch nie gegeben.

Selbst bei Öl blockierten Ungarn und die Slowakei lange. Beide Länder hängen deutlich stärker als andere an der Druschba, der "Freundschaftspipeline". Freundschaft klingt in Zeiten wie diesen wie ein übler Scherz. Für besagte Ölpipeline würde das Wort Feindschaft besser passen, seitdem Russland Energie als Mittel zur Durchsetzung nicht nur seiner wirtschaftlichen, sondern auch seiner imperialen Interessen eingesetzt hat. So weit, so unbefriedigend.

Rote Liste

Damit Russland den Ölboykott von Amerikanern, Briten und Europäern wirtschaftlich tatsächlich stark spürt, darf kein russisches Öl, darf kein Benzin und auch kein Diesel anderswohin gelangen. Das ist aber alles andere als sichergestellt. Genau darin manifestiert sich die Schwachstelle des europäischen Kurses, unter Inkaufnahme hoher wirtschaftlicher Kosten russisches Öl auf die rote Liste zu setzen.

China oder Indien, aber auch Länder auf dem afrikanischen Kontinent, die in der Wohlstandspyramide weit zurückliegen und bei steigenden Preisen erst recht mit Aufruhr und möglicherweise gewaltsamen Aufständen rechnen müssen, springen als Abnehmer sicher gerne ein – um die öffentliche Ordnung zu bewahren und die wirtschaftliche Entwicklung abzusichern. Noch dazu, wenn Russland Öl und Produkte deutlich unter dem Marktpreis abzugeben bereit ist, was offensichtlich bereits der Fall ist.

Die Budapest und Bratislava in Aussicht gestellte Hilfe bei der Abkehr von russischem Öl könnte eine Blaupause sein für den Fall, dass im Herbst, wenn die Speicher (hoffentlich) gefüllt sind, doch ein Gasboykott ins Auge gefasst wird. Dann bräuchten nicht nur die früheren Ostblockstaaten, sondern auch Deutschland und Österreich solidarische Hilfe. Sonst wird sich an ihrer ablehnenden Haltung nichts ändern – es sei denn, Putin dreht den Gashahn von sich aus zu. Aber das wäre dann ein anderes Problem. (Günther Strobl, 4.5.2022)