Die Kunstförderin und surrealistische Dichterin Gertrude Stein (1874–1946) übersiedelte 1903 aus den USA nach Paris. 2006 erinnerte Dodi Reifenberg mit Plastikfolie und Scotch-Tape an sie.

Foto: Leopold-Museum, Wien – Schenkung Helmut Klewan; Credit: Bildrecht, Wien 2022

Kann man Autor und Werk trennen? Steht ein Text für sich oder spielt die Biografie der Autorin für die Beurteilung eine Rolle? Hans Christian Andersen schaut mit vollen Lippen und großen Augen etwa genauso aus, wie man sich einen Schöpfer von Kunstmärchen vorstellt. Aber blickt der Däne vielleicht nur so verträumt aus dem Blatt hervor, weil der Künstler diese Erwartung bedienen wollte? Kierkegaard nebenan ist mit wilder Mähne ganz Genieklischee.

In der Schau Der Blick aus dem Rahmen im Leopold-Museum werden solche Fragen nicht beantwortet, stellen kann man sie sich trotzdem. Rund 200 Fotografien, Zeichnungen und Grafiken zeigen ein Who’s who der Weltliteratur. Zusammengetragen hat sie der österreichisch-deutsche Galerist Helmut Klewan. Die Wände seiner Wohnung bedeckten die Werke dicht an dicht, im Leopold-Museum gruppieren sie sich zu Wolken, die publikumsfreundlich geografisch-literarische Gebiete wie die USA, die "romanische Welt", den "Norden", Deutschland, Österreich abdecken.

Jean Genet nahm bei Alberto Giacometti 1954 kaum konkrete Form an, dennoch wirkt das Bleistiftporträt dank Kopfneigung und leeren Augenhöhlen ausdrucksstark leidend. Vor den Übermalungen Peter Sengls von Kafka oder Lewis Carrol kann man g’scheiteln oder raten, auf welche literarischen oder biografischen Aspekte der Künstler sich beim jeweiligen Dekor bezieht.

Coverfotos und Krakel

Mit reduzierten, extrem krakeligen Zitterlinienporträts sticht Horst Janssen als Künstler interessant aus den oft braven Abbildungen hervor. Manches Gezeigte reicht in der Qualität aber nicht über Buchcoverfotos hinaus. Da stellt sich die Frage: Aus welchen Gründen haben diese Künstler die Autoren porträtiert? War es Bewunderung oder Auftrag? Taten sie es zum besseren Werkverständnis oder als Freundesdienst?

Die Saaltexte sind angesichts der Fülle kursorisch. Zu einzelnen Autoren gibt es zudem meist keine Angaben, manchmal ausführliche. Wie Kontext sehr unterhaltsam kleine Literaturgeschichte erzählen kann, zeigt das Beispiel Germaine de Staël, die den Franzosen die Höhepunkte der deutschen Literatur näherbringen wollte: Sie lobte die Dichter und Denker des Nachbarn, dem man gerade kriegerisch unterlegen war. Das missfiel nicht nur Napoleon, sondern auch den Deutschen, die neben dem Schöngeist ihre Kampfkraft nicht genug gewürdigt sahen.

Dass Autorinnen weniger kanonisiert sind, schlägt in der Schau durch. Drei Strindbergs steht im "Norden" keine Frau gegenüber. Österreich ist mit Aichinger oder Bachmann ausgeglichener präsent. (Michael Wurmitzer, 10.5.2022)