Mehr als 300 Fachleute aus 20 Ländern wirkten an der Entdeckung mit: Hier ist das Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße zu sehen.
Bild: EHT Collaboration

Man hatte nicht zu viel versprochen: Bei der Ankündigung der Neuigkeiten schrieb die Europäische Südsternwarte Eso über "bahnbrechende Ergebnisse" zu unserer Galaxie, der Milchstraße (DER STANDARD berichtete ausführlich). Am Donnerstag wurden diese Ergebnisse publik: Das "Event Horizon Telescope"-Projekt (EHT) zeigte erstmals deutliche Bilder des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxis.

Das "Event Horizon Telescope"-Projekt simuliert mithilfe mehrerer über die Erde verteilter Radioteleskope eine planetengroße Antenne.
Fotos/Illustr.: Eso

Damit gibt es auch den ersten klaren, visuellen Beweis dafür, dass sich dort tatsächlich ein Schwarzes Loch befindet. "Wir waren verblüfft, wie gut die Größe des Rings mit den Vorhersagen von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie übereinstimmte", sagte EHT-Projektwissenschafter Geoffrey Bower vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Academia Sinica in Taipeh.

Blick auf Krapfen auf dem Mond und Bier in New York

Die überwundene Distanz ist beeindruckend: Am Nachthimmel ist das Schwarze Loch in etwa so groß wie ein Krapfen, der sich auf dem Mond befindet. Das "globale Teleskop" sieht gewissermaßen drei Millionen Mal schärfer als das menschliche Auge. Oder wie es einer der beteiligten Forscher bei der Eso-Pressekonferenz in München formulierte: Von einem Münchner Biergarten aus könnte man die Schaumbläschen eines Biers in New York erkennen.

Pressekonferenz und Q&A im Livestream.
European Southern Observatory (ESO)

Bei den bisher besten Abbildungen dieses supermassereichen Schwarzen Lochs war hauptsächlich die Strahlung der massereichen Materie um die Schwärze herum zu erkennen – und Sterne, die auf ihren Bahnen rundherum zirkulieren. Nun ist der sogenannte Ereignishorizont zu sehen: jene Grenze des Schwarzen Lochs, an der es um alles oder nichts geht. Was diesen Horizont überschreitet, kann nie mehr zurück und ist für alles diesseits des Ereignishorizonts wie verschluckt.

Die bisher schärfste Ansicht der Gegend um das Schwarze Loch Sagittarius A* (gesprochen: "Sagittarius A Stern"), die vor knapp einem halben Jahr veröffentlicht wurde.
Bild: Eso / Gravity collaboration

Erst die ferne Riesengalaxie, dann die nächste Nachbarschaft

Erstmals gelang dem EHT im Jahr 2019 eine ähnliche Abbildung, die den Schatten des Schwarzen Lochs Messier 87* (M87*; gesprochen: "M 87 Stern") zeigte. Hinter dem "Foto", das um die Welt ging, steckte enormer Aufwand. Denn dafür ist eigentlich ein Radioteleskop nötig, das etwa so groß ist wie die Erde selbst. Durch synchrone Aufnahmen von Geräten rund um den Globus unter idealen Verhältnissen trug das Team die Daten zusammen, aus denen mithilfe von Algorithmen das Bild errechnet wurde. Für Fachkundige: Die Technik, die dabei zum Einsatz kommt, nennt sich Langbasis-Interferometrie (VLBI) und ermöglicht die bisher beste Auflösung astronomischer Bilder.

So sah das erste Bild eines Ereignishorizonts aus, der zum Schwarzen Loch im Zentrum der Riesengalaxie Messier 87 gehört. Es wurde 2019 veröffentlicht und 2021 um eine noch bessere Ansicht in polarisiertem Licht ergänzt.
Bild: Europäische Südsternwarte Eso / AFP

Nun verschob sich der Fokus vom Sternbild Jungfrau, in dem die Riesengalaxie M87 zu finden ist, in Richtung Sternbild Schütze. Dort befindet sich das Zentrum unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße: Sagittarius A*, kurz Sgr A*. Die Analyse des dort befindlichen Schwarzen Lochs gestaltete sich als herausfordernder als gedacht. Obwohl es sich mit "nur" 27.000 Lichtjahren näher zur Erde befindet als M87 (Reisedistanz: 55 Millionen Lichtjahre), war Letzteres einfacher abzubilden. Durch die schiere Masse von sechs Milliarden Sonnen ist es auch deutlich wuchtiger als "unser" Loch mitten in der Milchstraße, das die viermillionenfache Masse unserer Sonne hat.

Größenvergleich der beiden bisher "fotografierten" Schwarzen Löcher.
European Southern Observatory (ESO)

Dies liegt daran, dass M87* quasi ein stabileres Zielobjekt war als Sgr A* in der Milchstraße. Es sei "ein bisschen wie der Versuch, ein klares Bild von einem Welpen zu machen, der schnell seinem Schwanz nachjagt", sagt EHT-Wissenschafter Chi-kwan ("CK") Chan von der Universität Arizona (USA). Genauer: "Das Gas in der Nähe der Schwarzen Löcher bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit – fast so schnell wie das Licht – sowohl um Sgr A* als auch um M87*. Aber während das Gas Tage bis Wochen braucht, um das größere M87* zu umkreisen, vollendet es eine Umkreisung um das viel kleinere Sgr A* in nur wenigen Minuten." Daher verändern sich Helligkeit und Gasmuster um das uns näher gelegene Schwarze Loch schneller und sind schwieriger einzufangen.

Vergleich der Unterschiede in der Bearbeitung der Bilder von Sgr A* (links) und M87*: Weil mehr Bildmaterial bearbeitet werden musste, dauerte die Analyse des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße länger.
European Southern Observatory (ESO)

Live-Verkündung weltweit

Nach intensiver Aufbereitung der Daten ist es jetzt jedoch endlich gelungen, Sgr A* im Detail abzubilden, wie auf Events rund um den Globus gleichzeitig verlautbart wurde. Bei der Pressekonferenz der Eso in München sogar mit musikalischer Untermalung: Mitglieder der Band Arcade Fire plädierten in ihrer Live-Performance auch im Angesicht supermassiver Schwärze und der aktuellen Krisen der Menschheit für Zusammenhalt. Nach der Einlage wurden Fragen aus der Öffentlichkeit rund um Schwarze Löcher von Expertinnen und Experten beantwortet, die per Youtube-Chat und über den Twitter-Hashtag #AskEHTeu eingereicht wurden.

Zoom ins Zentrum der Milchstraße bis zum Schwarzen Loch.

Einsteins und Hawkings Weitsicht bestätigen

Dass Schwarze Löcher, die zu den mysteriösesten und eigenartigsten Objekten im Kosmos gehören, überhaupt bildlich eingefangen werden können, zeigt, zu welchen Spitzenleistungen Astrophysik und Informatik es mittlerweile gemeinsam bringen. Dabei sind noch viele Rätsel zu knacken – und Vermutungen von Albert Einstein und Stephen Hawking, wie sich Raum, Zeit und Massen im Zusammenspiel mit Schwarzen Löchern verhalten, zu bestätigen.

Das neue Forschungsergebnis zeigt aber bereits, dass sich die Schwarzen Löcher Sgr A* und M87* im Bereich in der Nähe des Randes erstaunlich ähnlich sind, sagt Sera Markoff, theoretische Astrophysikerin an der Universität Amsterdam und Co-Vorsitzende des EHT-Wissenschaftsrats. "Das sagt uns, dass die allgemeine Relativitätstheorie im Nahbereich für diese Objekte dominiert und alle Unterschiede, die wir in größerer Entfernung sehen, auf Abweichungen im Material zurückzuführen sein müssen, das die Schwarzen Löcher umgibt."

Wissensvermittlung und Kollaboration in Kriegszeiten

Im Verhältnis zu ihrer Größe sind diese geheimnisvollen Gebilde extrem massereich – und ziehen andere Massen an wie ein beunruhigender Allstaubsauger. Um das schwer Vorstellbare, ja sogar das Unsichtbare sichtbar zu machen, ist das Bildmaterial des EHT äußerst wertvoll für Wissenschaft und deren Vermittlung.

Der neue Meilenstein, der auf einer beeindruckenden Teamleistung beruht, wird die Astronomie noch eine ganze Weile beschäftigen. Als Nächstes sind auch Videos der Schwarzen Löcher geplant – dem wollen sich die Forschenden gleich "ab morgen" widmen. Das Projekt hätte ohne den Einsatz von mehr als 300 Forscherinnen und Forschern aus über 20 verschiedenen Ländern nicht funktioniert – eine erfreuliche Nachricht in Zeiten des Kriegs, die zeigt, was alles durch internationale Zusammenarbeit möglich ist. (Julia Sica, red, 12.5.2022)