Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, möchte sich von den Ergebnissen in seiner Arbeit nicht einschränken lassen.

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Im vergangenen Jahr ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich massiv in die Höhe geschnellt. Dies geht aus dem am Freitagvormittag vorgestellten Bericht der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) hervor. 2021 wurden 965 Vorfälle gemeldet, ein Jahr zuvor es insgesamt 585.

Es gab mehr als 18 Vorfälle pro Woche, sagte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Verantwortlich für diesen Anstieg sind die Anti-Corona-Demonstrationen und die Eskalation im palästinensisch-israelischen Konflikt im vergangenen Jahr. Während Terrororganisationen israelische Städte mit Raketen beschossen, kam es in Wien zu antisemitischen Kundgebungen und Vorfällen. "Es gab massive Übergriffe auf die jüdische Gemeinde", so Deutsch. Eine aufgrund ihrer Kleidung als jüdisch erkennbare Familie wurde in einem Park in Wien mit Steinen beworfen, ein Mann mit einer Kippa wurde von Jugendlichen als "Scheißjude!" angeschrien, begleitet von "Allahu Akhbar!"-Rufen. Auf einer Demonstration in Wien wurden von dutzenden Teilnehmern antisemitische Morddrohungen gerufen ("Khaibar, Khaibar ya Yahud!").

Judensterne bei Corona-Demos

Antisemitismus gehört auch zu den Corona-Demonstrationen. Dort waren im vergangenen Jahr "Sieg Heil"-Rufe zu hören, Teilnehmer und Teilnehmerinnen trugen gelbe Judensterne oder Plakate mit Fotos von Adolf Hitler. Vor Corona-Demonstrationen werden Mitglieder der jüdischen Community per SMS darüber informiert, damit sie wachsam sind.

In der Wiener U-Bahn wurde eine Frau angepöbelt, weil sie für eine Jüdin gehalten wurde. Als sie den Vorfall der Polizei meldete, wurde ihr von den Beamten gesagt, da sie keine Jüdin sei, sei dies kein antisemitischer Angriff.

Erhoben werden die Vorfälle von der Meldestelle für Antisemitismusvorfälle. Waren es 2008 lediglich 46 Meldungen, liegt man seit dem Jahr 2017 mittlerweile über der Schwelle von 500. Zurückzuführen ist das sowohl auf einen tatsächlichen Anstieg von judenfeindlichen Aktionen als auch auf ein gesteigertes Bewusstsein, antisemitische Vorfälle zu melden. Dennoch gebe es eine Dunkelziffer, sagte IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele.

Die Definition von Antisemitismus richtet sich – wie mittlerweile in vielen Institutionen – nach jener des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC): "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen."

Beschimpfungen und Zuschriften

Der Großteil der gemeldeten Vorfälle betraf zu 59,5 Prozent "verletzendes Verhalten", wie zum Beispiel Beschimpfungen. Einen weiteren großen Anteil von 27 Prozent machen "Massenzuschriften" aus, wobei auch Inhalte im Internet mitgerechnet wurden. In zehn Prozent der Fälle kam es zu Sachbeschädigung wie beispielsweise Beschmierungen. 22-mal (2,5 Prozent) wurden Bedrohungen verzeichnet, zwölfmal (ein Prozent) kam es tatsächlich zu einem dokumentierten körperlichen Angriff. Die überwiegende Anzahl an Angriffen (sieben) wurden von muslimischen Tätern begangen.

Die Mehrheit der Vorfälle machen eindeutig rechtsextrem motivierte Taten aus (461), dabei handelt es sich hauptsächlich um Sachbeschädigungen und Beschimpfungen. 103 Meldungen betrafen im vergangenen Jahr Vorfälle mit muslimischem Hintergrund, 148-mal kamen die antisemitischen Angriffe von politisch linker Seite. 253 Vorfälle konnten nicht zugeordnet werden.

Gegen Hass auftreten

"Der Kampf gegen Antisemitismus" sei dabei keine jüdische Aufgabe, sondern eine für die gesamte Gesellschaft. "Jeder ist gefordert, gegen Judenhass aufzutreten, egal ob am Stammtisch, im Fußballstadion oder in der U-Bahn", sagte Deutsch.

Für Justizministerin Alma Zadić (Grüne) sind die Zahlen "höchst alarmierend und beunruhigend". In einer Stellungnahme betont sie, dass im Justizministerium an einer Novelle zum Verbotsgesetz gearbeitet werden. "Es sollen rechtliche Lücken identifiziert werden, um künftig noch konsequenter gegen Antisemitismus vorgehen zu können", so Zadić. Die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz sieht eine "brandgefährliche Entwicklung", die in unserer Gesellschaft nicht geduldet werden dürfe. Die NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper fordert Maßnahmen im Bereich Prävention und Bildung.

Die Kultusgemeinde kümmert sich derzeit um rund 900 Flüchtlinge aus der Ukraine, hauptsächlich Kinder und deren Mütter. In den kommenden Tagen sollen weitere 100 Personen dazukommen. (Markus Sulzbacher, 13.5.2022)