Im Stadtzentrum von Oslo prägen Elektroautos das Straßenbild. Landesweit entfielen 2021 zwei Drittel aller Autokäufe auf elektrisch betriebene Fahrzeuge.

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Der Klimawandel ist in Norwegen längst nicht mehr zu übersehen. Seit 1900 ist die Durchschnittstemperatur in dem skandinavischen Land um mehr als 1,1 Grad Celsius gestiegen – bis Ende des Jahrhunderts könnten es laut Prognosen 4,5 Grad sein. Kein nordisches Ökosystem bleibt von den Folgen der rapiden Erwärmung unberührt: Schmelzendes Meereis, tauender Permafrost und deutlich mehr Niederschläge sind nur einige Entwicklungen, die Wissenschafter seit Jahrzehnten dokumentieren.

Als Antwort auf den Klimawandel verfolgt Norwegen ambitionierte Ziele. Bis 2030 will das Land, das vor allem auf Wasserkraft setzt und E-Mobilität massiv fördert, CO2-neutral werden. Künftig soll auch die Windkraft stark forciert werden, erst vergangene Woche beschloss die Regierung den Bau von 1.500 neuen Windrädern auf See.

Norwegischer Spagat

Gleichzeitig zählt Norwegen zu den weltweit größten Exporteuren von Öl und Erdgas. Während in dem dünn besiedelten Land mit rund 5,4 Millionen Einwohnern vorwiegend auf nachhaltige Energie gesetzt wird, sind die fossilen Exporte der mit Abstand wichtigste Wirtschaftsfaktor und Wohlstandsquelle Nummer eins. Diese Ressourcen machen Norwegen zu einem der reichsten Länder der Welt.

Wie lassen sich ambitionierte Klimaziele und fossile Exporte im großen Stil unter einen Hut bringen? Die aktuelle geopolitische Lage verschärft diesen "norwegischen Spagat" zusätzlich, wie vergangene Woche auf einer Studienreise des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR) nach Oslo deutlich wurde.

Die Pläne, wirtschaftlich unabhängiger von Öl und Gas zu werden und innovatives Wachstum in anderen Bereichen zu fördern, haben in den vergangenen Jahren zwar Fahrt aufgenommen: Um Exporte in anderen Bereichen bis 2030 um 50 Prozent zu steigern, wurde eine Reihe an Anreizen gesetzt. Dazu zählt etwa die mit rund 100 Millionen Euro dotierte Grüne Plattform, die Investitionen in nachhaltige Innovationen stärken soll. Jüngst haben die Anstrengungen, sich von den fossilen Ressourcen unabhängiger zu machen, aber deutlich an Schwung verloren.

Ukraine-Krieg wirft die Pläne um

"Wir waren auf dem Weg raus aus Öl und Gas. Der Plan war, die Produktion in den kommenden Jahren immer weiter zu reduzieren und stattdessen Wasserstoff zu produzieren oder Carbon-Capture-Technologien auf den Markt zu bringen", sagte Martin Smestad Foss vom norwegischen Institute of Energy Technology (IFE). "Aber mit dem Ukraine-Krieg hat sich die Lage geändert, Europas Nachfrage nach Erdgas ist enorm, um russische Lieferungen zu ersetzen. Das müssen wir berücksichtigen, daran muss sich unsere Industrie anpassen."

Mit anderen Worten: Ein Drosseln der norwegischen Gas- und Ölproduktion ist vorerst vom Tisch. Im März gab die Regierung bekannt, neue Lizenzen für Bohrungen vergeben zu wollen, auch in bisher unerforschten Gebieten der Arktis.

Nachfrage mit Bremseffekt

Am IFE ist man abrupte Wechsel in der Energiepolitik gewohnt. Das 1948 gegründete Institut war zunächst ganz auf Atomenergie ausgerichtet und nahm schon drei Jahre später einen ersten Forschungsreaktor in Betrieb. Die lange diskutierte Nutzung von Atomstrom kam jedoch nie zur Umsetzung, stattdessen setzte das Land vor allem auf Wasserkraft.

Mit der Entdeckung des ersten riesigen Ölfelds in der Nordsee Ende der 1960er-Jahre rückten Forschung und Entwicklung im Bereich der Produktion fossiler Energieträger in den Fokus des Instituts. "Heute ist hingegen erneuerbare Energie ein zentraler Schwerpunkt unserer Forschung, vor allem Sonnen- und Windtechnologien", sagt Foss.

Auch Anne Fahlvik vom norwegischen Forschungsrat bestätigt, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die europäische Energiekrise die Forschungs- und Innovationspläne des Landes merklich beeinflussen. "Es ist eine Herausforderung, grüne Entwicklungen zu stärken und gleichzeitig der wachsenden Nachfrage nach Öl und Gas nachzukommen."

Kurs bleibt fix

Der Zeitplan für den Ausstieg aus der fossilen Abhängigkeit könnte sich zwar ändern, langfristig stehe der Kurswechsel aber fest, meinte Fahlvik. Das zeige sich auch an der Ausbildungswahl jüngerer Norwegerinnen und Norweger, bei denen die gut bezahlten fossilen Jobs längst nicht mehr das Maß aller Dinge seien. Das Land setzt neben Technologien für die Klimawende verstärkt auf nachhaltige Land- und Meereswirtschaft und Innovationen im Gesundheitsbereich.

Der Vergleich des norwegischen Innovationssystems mit jenem Österreichs macht Gemeinsamkeiten sichtbar, fördert jedoch auch auffällige Unterschiede zutage. Im Global Innovation Index, der von der französischen Business School Insead, der US-amerikanischen Cornell University und der UN-Organisation für geistiges Eigentum erhoben wird, schneiden die beiden Länder ähnlich ab: Österreich lag 2021 auf Rang 18, Norwegen auf Rang 20.

Obwohl Norwegen bei den Inputfaktoren, zu denen etwa Forschungsausgaben von Unternehmen zählen, auf Platz 13 lag (Österreich Rang 16), konnte das Land beim Output nur Platz 28 erzielen (Österreich: 24). Bei den Patenteinreichungen, die in Norwegen zuletzt rückläufig waren, schnitt Österreich mit einer leichten Steigerung und insgesamt knapp dreimal so vielen Einreichungen deutlich besser ab. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung gemessen am Bruttoinlandsprodukt hinkt Norwegen mit zuletzt 2,3 Prozent ebenfalls hinterher (Österreich 3,2 Prozent).

Erfolgreiche Einwerbung

Sehen lassen kann sich der Erfolg bei internationalen Kooperationen und europäischen Förderprogrammen des Landes, das kein Mitglied der EU ist: Norwegens Erfolgsquote beim EU-Forschungsrahmenprogramm liegt bei 15,1 Prozent und damit deutlich über dem Bewilligungsdurchschnitt von 11,9 Prozent. Für ACR-Präsidentin Iris Filzwieser zeigt dies eindrucksvoll, "wie wichtig gute Vernetzung und eine internationale Ausrichtung sind".

Dieses Ziel verfolge auch das ACR-Netzwerk, dem ab Juni mit dem Zentrum für Soziale Innovation ein neues Mitglied angehöre, sagte ACR-Geschäftsführerin Sonja Sheikh. (David Rennert aus Oslo, 24.5.2022)