Sie gilt als Vollkarachokünstlerin. Jetzt haut Stefanie Reinsperger auf den Tisch.
Foto: Sven Serkis

Als Stefanie Reinsperger 2017 und 2018 die Rolle der Buhlschaft im Jedermann bei den Salzburger Festspielen übernahm, wurde sie aufgrund ihres Aussehens angefeindet und sogar bedroht. Jetzt reicht es der Schauspielerin: Mit ihrem Buch Ganz schön wütend (Molden) rechnet sie mit Kommentaren zu ihrem Körper ab und fordert im Gespräch ein Ende stereotyper Rollenbesetzungen, die Rehabilitierung des Wortes "dick" sowie ein kritisches Hinterfragen weiblicher Schönheitsideale. Hier geht es zur Videoversion.

STANDARD: Frau Reinsperger, was macht Sie so wütend?

Reinsperger: Mich macht vieles wütend. Zum Beispiel die große Empathie- und Rücksichtslosigkeit, mit der wir teilweise leben. Und aus meiner persönlichen Erfahrung: Dieses Selbstverständnis, dass Menschen anderen ungefragt beleidigende Kommentare zu Aussehen und Körper an den Kopf knallen, und man dann lernen muss, damit umzugehen.

STANDARD: In Ihrem Buch erzählen Sie von solchen Erlebnissen, beispielsweise, als Sie die Buhlschaft im "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen spielten. Sie berichten von heftigen Beleidigungen in Bezug auf Ihr Aussehen. Warum dreht es sich bei diesem österreichischen Hochkultur-Highlight immer noch so sehr um die Optik der weiblichen Hauptrolle?

Reinsperger: Diese Frage spiele ich gern zurück. Dass dieses Thema derart präsent ist, daran hat die Presse einen erheblichen Anteil. Mir ist klar, dass es hetzerische Schlagzeilen braucht, um Postings zu bekommen und Likes zu generieren. Aber wir sollten uns überlegen, welche Diskussion wir anstoßen wollen! Als ich diese Rolle gespielt habe, war weder von Body-Positivity noch von MeToo die Rede. Zum Glück ist das heute anders. Ich bin in erster Linie Schauspielerin und Künstlerin, und ich möchte, dass meine Arbeit gesehen wird. Es ist 2022 – wir müssen endlich damit anfangen, respektvoll miteinander umzugehen.

STANDARD: Letztes Jahr spielte Ihre Kollegin Verena Altenberger die Rolle und wurde ebenfalls sexistisch angefeindet. In einem Brief wurde ihr ein Mangel an "weiblichen Attributen" vorgeworfen. Müssen männliche Schauspieler auch mit solchen Anfeindungen kämpfen?

Reinsperger: Das gibt es sicher auch. Solche Angriffe sind immanent in dieser Branche und betreffen alle Geschlechter. Es passiert aber sicher öfter Frauen, weil wir so aufwachsen und viel früher damit konfrontiert werden. Man muss sich nur die riesige Industrie für "Frauenprodukte" ansehen, die diese schöner und besser machen sollen. Nach wie vor ist es so, dass ein kräftiger Mann als etwas Schönes, Starkes und Beeindruckendes gilt. Während einer Frau, die gewissen Schönheitsidealen nicht entspricht, Weiblichkeit abgesprochen wird.

STANDARD: Warum haben vor allem weibliche Schönheitsideale so einen hohen Erregungswert?

Reinsperger: Man hat lange vom starken und schwachen Geschlecht gesprochen. Da waren Frauen nicht im Rennen ums starke Geschlecht, weswegen es selbstverständlich war, diese anzugreifen. Die Bilder, die in Magazinen oder der Werbung vermittelt werden, beziehen sich zu 80 Prozent auf weibliche Körper. Das Subjekt muss sich ändern.

STANDARD: Sie appellieren auch, das Wort "dick" zu rehabilitieren – und positiv zu besetzen. Wie geht das?

Reinsperger: Frauen, die aussehen wie ich, kennen diesen Moment, in dem jemand vor einem steht und sagt "Du bist halt so … na ja. Du hast das urschöne Gesicht." Da denkt man sich: "Sag es doch einfach." Mich stört das nicht mehr. Mittlerweile kann ich dem Wort die Macht entziehen, damit es mich nicht mehr trifft. Das ist aber ein langer und sensibler Prozess, der nicht von heute auf morgen passiert. Es gibt einige positive Assoziationen mit dem Wort "dick", beispielsweise dicke Bücher, dicke Küsse oder ein richtig fettes Bankkonto. Das finden dann alle großartig. Wir sollten damit anfangen, auch dicke Körper als schön zu bezeichnen.

In ihrem Buch "Ganz schön wütend" berichtet die Schauspielerin von persönlichen Erlebnissen – und begibt sich in einen feministischen Diskurs.
Foto: Sven Serkis / Molden

STANDARD: Für Sie handelt es sich aber auch um einen Triggerbegriff, den Sie immer wieder in Rollenbeschreibungen lesen. Beispiele: "Julia, 35, stark übergewichtig, fällt optisch aus dem Rahmen. Clara, 45, dick, offensichtlich nicht an Sport interessiert". Wie soll man mit solchen Formulierungen umgehen?

Reinsperger: Einfach rausstreichen! Natürlich hat man bestimmte Bilder im Kopf, wenn man Drehbücher schreibt. Ich würde mir aber wünschen, dass es bei einem Casting um die Leistung geht. Wenn ich auch optisch ins Bild passe, ist das toll. Viel wichtiger wäre aber, dass es keinen anderen Ausweg gibt, als mich zu besetzen, weil ich so geil spiele. Abgesehen davon, sind wir so viel mehr als unsere Körper. Wir sind Künstlerinnen, die sich für Rollen bewerben. Also lasst diese Beschreibungen einfach weg!

STANDARD: Kürzlich sagten Sie, es sei immer noch so, dass Frauen wie Sie noch nicht genug sichtbar seien in Film und Fernsehen, und forderten ein Ende stereotyper Rollenbesetzungen. Beobachten Sie Veränderungen?

Reinsperger: Ja, total. Diese Beschreibungen sind schon viel weniger geworden. Trotzdem können wir noch weiter und breiter denken. Auch wenn der Begriff "Diversity" zum Modewort geworden ist: Kunst und Kultur haben die Aufgabe und Verpflichtung, die Welt und ihre Gesellschaft abzubilden.

STANDARD: Sie danken auch Ihren Eltern, dass sie Ihre Wutanfälle als Kind akzeptiert haben. Weil das Mädchen oft weniger vergönnt wird als Buben. Wut gilt allgemein als etwas Männliches. Wie kann man diese Zuschreibung ändern?

Reinsperger: Wir müssen Vorbilder sein, das ist unsere Verantwortung. Und das muss in Schulen und Kindergärten anfangen. Ein erster Schritt wäre die Abschaffung von genderspezifischem Spielzeug. Das sind zwar kleine Änderungen, haben aber große Bedeutung in einer Entwicklung.

STANDARD: Heute sprechen Sie von "Spielwut" und "Wutkörper". Wie nützen Sie diese Emotion auf der Bühne?

Reinsperger: Es gibt nichts auf der Welt, was ich lieber mache. Und auch nichts anderes, was ich so dringend machen muss wie zu spielen und mich auszuwüten.

STANDARD: Kann diese Wut nicht auch im Weg stehen?

Reinsperger: Ich glaube, da herrscht oft ein Missverständnis. Wut ist etwas anderes als Hass oder Respektlosigkeit. Wut ist für mich Furor, das ist Leidenschaft. Also eher etwas Gutes, das mir Gedanken und Räume und so auch einen anderen Zugang zu mir selbst öffnet. (Katharina Rustler, 22.5.2022)