"Exodus": Irpin am 5. März 2022.
Foto: Mykhaylo Palinchak

Genau vor drei Monaten griff Russland die Ukraine an, genau vor drei Monaten begann der Krieg in Europa. Leid, Schmerz, Tod, Verlust, Flucht und Trauer brachte dieser Angriff über die unschuldige Bevölkerung des Landes. Familien, Paare, Freunde wurden voneinander getrennt, jedes einzelne Leben auseinandergerissen und in die Ungewissheit verbannt.

Eines dieser Schicksale ereilte auch den Ukrainer Mykhaylo Palinchak, der mit seiner Familie in Kiew lebte und als Fotograf arbeitete. Früher hielt der 1985 Geborene alltägliche Straßenszenen fest. Seit dem 24. Februar ist Palinchak unfreiwillig Kriegsfotograf und dokumentiert die sukzessive Zerstörung seines Heimatlandes: eingestürzte Wohnhäuser, weinende Angehörige, provisorische Gräber, müde, leere Blicke, flüchtende Menschenkarawanen, blaue Leichenhände.

Kiew am 24.2.2022
Foto: Mykhaylo Palinchak

Keine andere Wahl

Er wünschte sich, er hätte diese furchtbaren Szenen nie sehen und festhalten müssen, sagte der Fotograf bei der Pressekonferenz am Dienstag in der Albertina in Wien. Doch er habe keine andere Wahl, es sei der einzige Weg, die Wahrheit zu zeigen. Über Vermittlung der ukrainischen Botschaft wurde in nur drei Wochen eine kleine Ausstellung mit 40 Bildern Palinchaks organisiert. Für ein paar Tage bleibt er in Wien, mittels einer Sondergenehmigung durfte er ausreisen. Danach fährt er wieder zurück, um weiterzufotografieren – und zu dokumentieren.

Kiew am 5. März.2022
Foto: Mykhaylo Palinchak

Nicht als Ausstellung, sondern als Statement möchte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder das Projekt verstanden wissen, das unter dem Titel Die Schrecken des Kriegs. Goya und die Gegenwart Palinchaks Kriegsporträts Druckwerken des spanischen Künstlers Francisco de Goya aus der Sammlung gegenüberstellt.

Borodyanka am 6. April.2022.
Foto: Mykhaylo Palinchak

200 Jahre später ...

Die zwischen 1810 und 1815 entstandenen Radierungen stammen aus der Serie Desastres de la Guerra. Darin übte Goya Kritik an den Gräueln des Spanienfeldzugs Napoleons und skizzierte diese überdrastisch: Gefangene werden gefoltert und ermordet. Tote hängen an Bäumen, Frauen werden entführt. Dokumente sind Goyas Werke aber nicht, vielmehr dramatisierte er, um den Horror des Krieges zu verdeutlichen. Die Botschaft: Erschreckend, wie wenig der Mensch in 200 Jahren aus seinen Fehlern gelernt hat.

Aus Goyas Serie "Los Desastres de la Guerra": 1812-1815.
Foto: Albertina Wien

Ob diese Gegenüberstellung so wirklich funktioniert, ist sich auch Schröder nicht ganz sicher. Ehrlich gesagt: eine Nebensache. Denn als Statement geht es darum, ein Zeichen der Solidarität zu setzen, zu reagieren. Und Bilder als Zeitzeugen von Leid berichten zu lassen, das den Menschen momentan angetan wird. Es bleibt zu hoffen, dass Palinchak bald wieder als normaler Fotograf normale Bilder machen darf. (Katharina Rustler, 24.5.2022)