Foto: Wonge Bergmann

Von der ersten Sekunde an liegt eine Spannung in der Luft. Unterschwellig mischt sie sich wie eine kaum wahrnehmbare atmosphärische Ladung bedrohlich in die Tanzpassagen, die das Hip-Hop-Stück "New Creation" des brasilianischen Choreografen Bruno Beltrão einleiten.

Diese Abfolge von kurzen Szenen zeigt, immer wieder durch Blackouts unterbrochen, Momentaufnahmen von ambivalenten Stimmungen, die eine Gruppe aus acht Tänzern und zwei Tänzerinnen umtreiben. Auf diesen Figuren liegt eine Last, die während des gesamten Stücks nicht näher definiert wird.

Nur den Ankündigungstexten ist zu entnehmen, dass hier Bezug auf die desaströse Politik von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro genommen wird. Der Tanz selbst jedoch bleibt allgemeiner und lässt sich daher auch global auf den gesellschaftlichen "Klimawandel" der Gegenwart beziehen.

Zeugnis eines medialen GAUs

Nichts, was während dieser Stunde passiert, die gerade bei den Festwochen im Museumquartier zu erleben ist, scheint in irgendeiner Form beiläufig oder zufällig zu sein. Auch der (Un-)Titel "New Creation" wirkt keinesfalls wie eine Verlegenheitslösung.

Er kann als Anspielung auf Pina Bausch verstanden werden, die für ein in Entwicklung befindliches Werk – manchmal über die Premiere hinaus – die Bezeichnung "Neues Stück" verwendete. Darüber hinaus gibt es keine weiteren Verbindungen zu Bauschs Tanztheater.

In "New Creation" wird weder gesprochen noch sonstwie Theater gespielt. Es ist Tanz mit Sound und Licht, und das reicht – mit einer Ausnahme: über den Köpfen der kleinen Gesellschaft auf der Bühne hängt eine Projektionsfläche wie jene, die bei fremdsprachigen Textperformances für Übertitelungen verwendet werden.

Doch darauf wird kein einziges Wort projiziert, sondern nur einmal ein roter, später ein blauer Streifen und gegen Ende schließlich die bis zur Unkenntlichkeit verzerrte, flackernde Ruine eines Videos: das Zeugnis eines medialen GAUs. Je länger und unruhiger sich die Figuren auf der Bühne bewegen, desto klarer scheint, dass hier nichts in Ordnung ist, während der dramaturgisch zersplitterte Tanz immer virtuoser wird.

Spannung und Steigerung

Mischt sich in die Anfangsszenen noch ein gespenstisches Vogelzwitschern, so wird dieser Anklang an die Natur im Weiteren ausradiert. Indes kriecht die Spannung aus dem Unterschwelligen heraus, überträgt sich auf den Sound, spielt mit den zunehmend nervösen Tanzkörpern.

Die ständige Steigerung wird dem Publikum knapp über der Wahrnehmungsgrenze auf beinahe sedierende Art zugeführt. So gewöhnt es sich an diesen Zustand und ist kaum mehr überrascht, wenn es plötzlich zu Gewaltausbrüchen kommt.

Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen ihr Können stoßweise, wie in Eruptionen, nehmen es wieder zurück, um es später abermals hervorbrechen lassen. Genau hier zeigt sich die ganze künstlerische Stärke dieser "New Creation", die sich – abgesehen von den kurzen Kampfszenen in grellem Licht – weder Vordergründigkeiten leistet noch schließlich in einem klaren Ende auflöst.

Ein Star der Choreografie

Bruno Beltrão ist zu einem Star der zeitgenössischen Choreografie geworden, weil es ihm als Erstem plausibel gelungen ist, den guten alten Hip Hop von der Straße auf die Bühne zu holen und aus dem virtuosen Auftrumpfen des Street Dance eine künstlerische Bewegungssprache zu generieren.

Der Tanzstil wird dabei weder verwässert noch verharmlost oder seiner Identität beraubt. Diese Pionierleistung treibt er bei "New Creation" noch weiter voran. Eine brillante Arbeit, die vom Wiener Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurde. (Helmut Ploebst, 25.5.2022)