Bei DER STANDARD VOR|ORT verlegen Redakteurinnen und Redakteure ihren Arbeitsplatz vorübergehend in spannende Regionen Österreichs. Franziska Zoidl berichtet aktuell aus Bad Gastein in Salzburg.

Aus einem Tal führen nicht viele Wege hinaus. Schon gar nicht aus dem hintersten Eck des Gasteinertals. Und doch kehren Jahr für Jahr mehr als 400 Menschen Bad Gastein den Rücken. Eine gewisse Fluktuation ist in einem Tourismusort natürlich normal, besonders bei jungen Menschen unter 29. Aber es gibt auch jene, die es hinaus aus dem Tal zieht, weil sie ihre Ausbildung machen, studieren oder etwas von der Welt sehen wollen. Viele kehren nicht zurück. Schön wäre es ja, hört man von jenen, die zum Beispiel in Wien oder Salzburg hängenbleiben, aber die beruflichen Perspektiven fehlen oft.

Das ist die eine Seite der Medaille. Jahr für Jahr ziehen allerdings auch Menschen nach Bad Gastein. 2020 waren es 453, die meisten von ihnen waren zwischen 30 und 59 Jahre alt. Der Wanderungssaldo für 2020 fiel in Bad Gastein also positiv aus: Es sind mehr Menschen her- als weggezogen. Insgesamt schrumpft der Ort aber. Bis 2040 könnten der Gemeinde laut Prognose mehr als 500 Bewohnerinnen und Bewohner abhandenkommen.

Doch es gibt auch solche, die einst weggingen und nun zurückkehren: In einem dreistöckigen, sonnengelben Haus in der Nähe des Zentrums von Bad Gastein wohnen gleich mehrere Zurückgekehrte. Daniel Binder ist einer von ihnen. Er ging 1999, klassisch, für sein Studium nach Wien. Später verschlug es den Geophysiker nach Kopenhagen, wo er seine Frau Kirstine Skov kennenlernte. Mit Sohn Aik pendelte das Paar dann zwischen Wien, Kopenhagen und Salzburg. Langsam reifte bei der Jungfamilie die Idee, nach Bad Gastein zurückzukehren.

Das Problem: "Ich habe gewusst, dass das jobtechnisch eine Herausforderung sein wird", sagt der 43-Jährige. Sie wollten es dennoch probieren. Im heurigen März ist die Familie zu seinen Eltern in Bad Gastein gezogen. Binder macht sein Doktorat und kann viel remote arbeiten. Seine Frau arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem englischen Start-up, das kein Büro mehr hat. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können von überall arbeiten. Skov macht das aus ihrem Zehn-Quadratmeter-Arbeitszimmer in Bad Gastein.

Dieses Remote-Arbeiten könnte eine Chance für Orte wie Bad Gastein sein: In vielen Unternehmen hat sich durch die Pandemie die Erkenntnis durchgesetzt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Büro sitzen müssen. Allerdings muss dafür das Arbeitsumfeld passen. Einige Rückkehrer im Ort träumen daher von einem Coworking-Space, um Wohnen und Arbeiten besser zu trennen. Eine Option wäre der ehemalige Kur- und Lesesaal im Ortsteil Böckstein. Einst lagen hier Zeitungen für die Kurgäste auf, aktuell ist das Gebäude ungenutzt. Es gehört dem Kurfonds. Der Tourismusverband erklärt, dass eine Ausschreibung vorbereitet werde. Weil das noch dauern könnte, suchen Binder und einige Freunde nun woanders einen Platz.

Alle unter einem Dach: Kirstine Skov mit Aik (vorn), dahinter Nora Binder mit ihrem Ehemann Walter Jenner und die Söhne Lorenz, Mo und Oskar.
Foto: Max Steinbauer

Auch weil das Haus unweit von Kindergarten und Schule langsam voll wird. Nora Binder, Daniels Schwester, ist mit ihrer Familie bereits 2019 zurückgekehrt. Geplant war das nicht: "Jetzt sind wir dahin", habe sie gedacht, als sie 1999 das Tal verließ, um zu studieren. Nach Stationen in Graz, Bremen und München landete die fünfköpfige Familie trotzdem wieder in Bad Gastein. Ein Grund waren die hohen Wohnkosten in München, wo die Familie mit ihren drei Kindern eine 57-Quadratmeter-Wohnung bewohnte.

Doch auch bei der 41-Jährigen war die Suche nach einem neuen Job eine Herausforderung. Sie kommt aus dem sozialen Bereich, bezahlte Stellen sind auf dem Land rar. "Anfangs habe ich schon gehadert", sagt sie. Mittlerweile hat sie in St. Johann im Pongau einen Job gefunden, ihr Mann kommt aus der IT-Branche. Das Homeoffice kannte er schon lange vor Corona.

Doch was braucht ein Ort, um für Rückkehrerinnen und Rückkehrer attraktiv zu sein? In den Gesprächen wird die Nähe zur Natur genannt, vom Schreibtisch ist man in Bad Gastein innerhalb kürzester Zeit auf dem Berg. Besonders wichtig ist auch flexible Kinderbetreuung. Aufgrund des Personalmangels ist das in Bad Gastein ein schwieriges Thema, DER STANDARD hat berichtet: "Aber Kinder sind beim Zurückkehren ein wichtiger Faktor. Ohne Kinder würden wir sicher noch in der Stadt leben", sagt Nora Binder.

Platz für alle

Mitunter kommen Bad Gasteiner aber auch vom anderen Ende der Welt zurück: 15 Jahre ist der 39-jährige Daniel Holleis mit seinem Segelboot um die Welt gefahren. Wegen der Pandemie strandete er mit seiner Familie in Neuseeland. Hier beschlossen sie, nach Hause zurückzukehren. Die Segelyacht mussten sie zurücklassen, sie soll irgendwann zumindest näher ans Gasteinertal gesteuert werden.

Andere, die gegangen sind, können sich die Rückkehr dafür überhaupt nicht vorstellen. "Es gibt schon Leute, die sagen: Es wäre mir zu eng, geografisch und gesellschaftlich", sagen die Binders.

Apropos eng: In ihrem sonnengelben Haus wird nächstes Jahr der Dachstuhl ausgebaut, um allen Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus der Familie Platz zu bieten. "Wir planen, hier zu bleiben", sagt Daniel Binder: "So weit man heute fix sagen kann, ist das fix." (Text: Franziska Zoidl, Daten: Sebastian Kienzl, Michael Matzenberger, 29.5.2022)