Die SPÖ liegt in der Umfrage deutlich vorne – aber Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner kommt nicht an Bundeskanzler Karl Nehammer vorbei

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Linz – Maßnahmen gegen die hohen Preise, Sicherung der Pensionen und Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten – diese drei Themen stehen ganz oben auf der Liste der 25 politischen Prioritäten, die 1.000 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte in der Vorwoche nach ihrer Dringlichkeit sortieren sollten.

Kunst und Kultur sollen warten, die Bundespräsidentenwahl hat auch noch Zeit (sie findet bekanntlich im Spätherbst statt), und auch die Solidarität mit der Ukraine rangiert ganz weit unten auf der Liste.

Ungeliebte Nato-Perspektive

Am wenigsten wichtig erscheint den Befragten die Vorbereitung eines Nato-Beitritts. Diesem geben nur fünf Prozent Top-Priorität, den Maßnahmen gegen die Teuerung dagegen 58 Prozent.

Die Umfrage wurde in der Vorwoche im Auftrag des STANDARD durchgeführt – wobei die Befragten für einzelne Themen je nach persönlich wahrgenommener Wichtigkeit Schulnoten von eins bis fünf vergeben konnten. Die "beste" Note – 1,59 – bekamen Maßnahmen gegen die Inflation, die besonders von älteren, bildungsfernen und der Opposition zuneigenden Menschen gefordert werden. Auch die Pensionssicherung (Note 1,66) ist besonders den älteren Menschen ein Anliegen, Grün- und Neos-Wählern eher weniger, während die Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten (Note 1,76) besonders die Grünen-Anhänger bewegt und die Gefolgschaft von Freiheitlichen und MFG eher kaltlässt.

Als "unerwartet hoch" bezeichnet Market-Institutsleiter David Pfarrhofer die Einstufung von "Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel" (Note 1,8) – der Mangel werde offenbar in der gesamten Bevölkerung stark wahrgenommen. Ganz ähnlich ist es um den Wunsch nach Verbesserungen im Bildungssystem (Note 1,82) bestellt: Diese werden allerdings besonders von Eltern schulpflichtiger Kinder und von der Großelterngeneration gefordert.

Klimawandel bleibt hohe Priorität

Die Daten widerlegen auch, dass die Ukraine- und die Corona-Krise die Sorgen um den Klimawandel verdrängt hätten: Mit der Durchschnittsnote 1,95 rangieren Maßnahmen gegen den Klimawandel deutlich vor der Forderung nach internationalen Friedensinitiativen (2,13) und Bekämpfung der Corona-Pandemie (2,4). Hinter dem Covid-Thema rangieren die Sorge um die Rückzahlung von Staatsschulden sowie das Engagement für Zusammenarbeit in der EU – beide Themen kommen auf die Durchschnittsnote 2,52.

Natürlich stellt sich die Frage, wer denn diese Agenda abarbeiten soll. Die hochgerechneten Ergebnisse der Sonntagsfrage zeigen, dass eine Mehrheit das nicht mehr der aktuellen türkis-grünen Koalition zutraut. Diese kommt hochgerechnet nur noch auf 33 Prozent.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

  • Die SPÖ konnte im vergangenen halben Jahr ihre führende Position langsam, aber sicher auf 29 Prozent ausbauen: Unmittelbar nach dem Rückzug von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Oktober des Vorjahrs lagen die Sozialdemokraten mit 25 Prozent knapp hinter den Türkisen. Inzwischen haben sie vier Prozentpunkte zulegen können.
  • Die ÖVP verlor in derselben Zeit vier Prozentpunkte und liegt nun mit 23 Prozent deutlich hinter der SPÖ. Anders in der Kanzlerfrage: Könnte man den Bundeskanzler direkt wählen, würden 23 Prozent Amtsinhaber Karl Nehammer ankreuzen, dieser ist also ohne Hochrechnung so stark wie seine Partei mit. Nehammer genießt nämlich nicht nur die Unterstützung durch vier von fünf ÖVP-Wählern, auch jeder neunte Grün- und jeder elfte SPÖ-Anhänger würde ihn wählen, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner könnte dagegen nur 16 Prozent motivieren, sie zu wählen – auch in der SPÖ-Gefolgschaft wollen nur 54 Prozent die Vorsitzende als Kanzlerin. Und außerhalb ihrer eigenen Partei kann sie nur bei erklärten Grünen ein paar Stimmen sammeln.
  • Den dritten Platz belegt die FPÖ mit 20 Prozent – auch wenn nur acht Prozent Herbert Kickl wählen würden. Auch Kickl kann nur etwas mehr als die Hälfte der Freiheitlichen ansprechen; über die Parteigrenzen hinaus wirkt er allenfalls auf versprengte MFG-Anhänger.
  • Die Neos belegen in den Market-Umfragen für den STANDARD seit Jahresbeginn den vierten Platz, aktuell kämen sie auf elf Prozent. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kommt in der Kanzlerfrage auf sieben Prozent.
  • Die Grünen haben seit der Nationalratswahl 2019 etwa ein Viertel ihrer Wähler verloren – und dass es bei der ÖVP weit mehr als ein Drittel ist, wird sie nicht sehr trösten. Mit zehn Prozent in der Hochrechnung belegen sie nur den fünften Platz. Vizekanzler Werner Kogler kommt in der Kanzlerfrage allerdings auf sieben Prozent.
  • Schließlich weist die Hochrechnung die Liste MFG aus, die mit fünf Prozent in den nächsten Nationalrat einziehen könnte.

Volatile "Wählermärkte"

Pfarrhofer betont, die Hochrechnung könne keine Wahlprognose darstellen, da der Wahltermin noch weit entfernt ist und kein Wahlkampf stattgefunden hat. Dass sich die Wählerpräferenzen in den letzten Monaten mehrfach deutlich bewegt haben, müsse auch bedacht werden – ein halbes Jahr nach der Wahl, im ersten Lockdown, hatte die ÖVP etwa Umfragewerte, die weit über den 37,5 Prozent der Nationalratswahl gelegen waren.

Zu bedenken sei, dass der Optimismus aktuell sehr gering ausgeprägt sei, was sich vor allem auf die Regierenden negativ auswirke und vor allem der FPÖ und der MFG Zulauf verschaffe. Derzeit sagen nur 27 Prozent, dass sie mit Optimismus und Zuversicht in die nahe Zukunft blicken; 41 Prozent bekunden Pessimismus und Skepsis. Sehr negativ werden die wirtschaftlichen Aussichten betrachtet: 58 Prozent finden, dass sich die wirtschaftliche Lage in den nächsten zwölf Monaten verschlechtern wird, nur 14 Prozent erwarten eine Verbesserung. (Conrad Seidl, 30.5.2022)