Alma Mahler, deren Mann Gustav Mahler wenig Unterstützung für die musikalischen Ambitionen seiner Frau bereitstellte.

Fischer

Es gab natürlich immer sagenumwobene historische Vorbilder. Sappho etwa, die antike Dichterin, die sich auf der Lyra zu begleiten pflegte, oder die universell begabte Benediktinerin Hildegard von Bingen. Nicht nur Kosmologisches und Heilkundliches ist von der Visionärin überliefert. Sie hat auch zahlreiche Gesänge hinterlassen.

Sich auf diese Ikonen zu berufen, um Freiraum für das eigene Komponieren zu erlangen, könnte die junge Alma Mahler möglicherweise versucht haben. Nach der Heirat mit dem weltberühmten Direktor der Hofoper, Gustav Mahler, wurde ihr vom Gemahl zunächst allerdings eine andere Rolle empfohlen: Um das Genie ihres Mannes sollte sie sich kümmern, seine Schöpfungen bewundern. Fortan hieß sie nicht nur nicht mehr Alma Schindler. Auch mit dem Komponieren war es eher vorbei.

Was ihre Rolle als sich dann doch frei entfaltende Frau anbelangt, wurde Alma allerdings eine berühmte Ausnahme. Zwar hat ihr der große Symphoniker auch den erhabensten aller Liebesbriefe in Noten geschrieben. Nachhaltig hat sich Alma durch das Adagietto aus der 5. Symphonie jedoch nicht einlullen lassen.

"Ich weiß, dass der Mann in der Welt draußen das Pfauenrad zu schlagen hat, während er sich zu Hause ,ausruhen‘ will. Das ist das Los der Frau. Aber nicht das meine!", schrieb Alma, und es gab schwere Ehekrisen. Sie ging eine Affäre mit Architekt Walter Gropius ein, und tatsächlich änderte Gustav seinen Zugang zum Musikschaffen seiner Frau. Er gab 1910 gar einige Jugendkompositionen Almas heraus: jene, die sie so um 1900 komponiert hatte.

Nadia Boulanger (1887–1979), die tatsächlich zur Berühmtheit wurde – als große Pädagogin. Zu ihren Schülern gehörten sehr bekannte Männer wie die Komponisten Aaron Copland, Astor Piazzolla, Quincy Jones und Philip Glass,

Ähnliche Geschichten gibt es selten; endlos ist die Zahl verschütteter Talente und jener Kompositionen von Frauen, die darauf harren, entdeckt und zum selbstverständlichen Teil des Konzertalltags erhoben zu werden. Langsam tut sich ja auch was: Im Oktober bringt der neue Intendant des Theaters an der Wien, Stefan Herheim, die Oper La Liberazione der italienischen Komponistin und Sängerin Francesca Caccini (1587 – 1640) heraus. Die Zeitgenossin Claudio Monteverdis verfasste nicht nur Opern, sie gab auch Lehrbücher für Komposition heraus.

Eigentlich ein Wunderkind

Ein anderes rares Beispiel im Konzerthaus: Dort tauchte unlängst Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 7 in der Version der Pianistin Beatrice Rana auf. Was für ein Talent! Bei der Uraufführung 1835 hatte Clara selbst gespielt. Sie war erst 16, ein Wunderkind, dessen Œuvre es mit der Berühmtheit ihres Mannes Robert Schumann bis heute nicht aufnehmen kann. Es war auch damals nicht leicht. Der verliebte Robert schenkte ihr, Clara Wieck, etwa ein Jahr vor der Hochzeit zu Weihnachten ein Kochbuch, in dem stand: "Meiner Hausfrau gewidmet, R. S."

Solch einengende Liebesbeweise werden heute eine Seltenheit sein. Dass sich auch bei der Repertoireentdeckung etwas tut, zeigt sich zudem an Einspielungen. Mittlerweile scheint es schon eine Art CD-Mode zu sein, Werke von Komponistinnen dem Vergessen zu entreißen. Ein Repertoire zu erhellen, das trotz Ignoranz, Nicht-ernst-genommen-Werdens und des Drucks durch vorherrschende Rollenklischees entstand. Das aktuelle Album der israelischen Sopranistin Chen Reiss, die Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper war, widmet sich etwa dem Geschwisterpaar "Fanny und Felix" aus der berühmten Familie Mendelssohn.

Sie denkt an Wagner

Da wird das Liedgut von Fanny Mendelssohn-Hensel (1805–1847) in Orchesterversion erhellt. Und: Man hört den Stücken nicht an, dass es für Fanny daheim weitestgehend ein Komponierverbot gab und dass sie gewisse Kompositionen nur unter dem Namen ihres Bruders veröffentlichen konnte. Nach wie vor sucht man ihre qualitätsvollen Stücke jedoch im Konzertprogramm mit der Lupe. Wenn überhaupt, hört man Lieder, die sich bisweilen dramatisch aufbäumen. Chen Reiss fühlt sich gar an Richard Wagners Fliegenden Holländer erinnert: "Ich glaube, wäre Fanny ein Mann gewesen, hätte sie auch Opern geschrieben." Nichts allerdings gegen die kleine Form. Das Lied ist der konzentrierte Ausdruck, kann Minidrama sein und eine Welt in sich bergen. Daran erinnert die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz. Mit dem Pianisten Jonathan Ware hat sie auf This Be Her Verse (Alpha Classics) ausschließlich Miniaturen von Komponistinnen interpretiert.

Clara Schumann, Wunderkind am Klavier und frühreife Komponistin.

Clara Schumann ist dabei und auch die Französin Nadia Boulanger (1887–1979), die tatsächlich zur Berühmtheit wurde – als große Pädagogin. Zu ihren Schülern gehörten sehr bekannte Männer wie die Komponisten Aaron Copland, Astor Piazzolla, Quincy Jones und Philip Glass, von dem bald bei den Festwochen die Oper Einstein on the Beach gezeigt wird.

Wasserfall von Namen

Hört man Golda Schultz etwa Boulangers Lied La mer est plus belle singen, wundert man sich durchaus, dass solch edles spätromantisches Liedgut nie zu hören ist. Offenbar wäre da noch viel mehr zu entdecken, so Schultz. "Es kam ein Wasserfall von Namen, wir könnten leicht sieben völlig unterschiedliche Programme damit machen", schildert sie ihre Überraschung bei den Recherchen.

Da wartet also einiges, endlich in die etablierten Konzerthäuser gebracht zu werden. Ja, es ist interessant, von Computern die 10. Symphonie von Beethoven simulieren zu lassen. Bevor allerdings jedes Nebenwerk und Fragment bekannter Männer ausgequetscht wird, wäre es langsam an der Zeit, einiges aus den Archiven der Ignoranz zu holen. (Ljubiša Tošic, 1.6.2022)