Hummeln bestäuben Pflanzen und beeinflussen dadurch unter anderem die Landwirtschaft.
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Er ist so beliebt wie umstritten: Der Wirkstoff Glyphosat wird weltweit am häufigsten verwendet, um landwirtschaftlich genutzte Felder zu schützen und beispielsweise Unkraut zu vernichten. Viele Umweltschutzorganisationen fordern jedoch Verbote, weil sich die Substanz etwa im Boden anreichern kann, und warnen vor negativen Konsequenzen. In Österreich soll der Einsatz zumindest auf privaten und sensiblen Flächen verboten werden. Die EU-Kommission sieht derzeit keine Gefahr für den Menschen, die ein Verbot rechtfertigen würde.

Wissenschaftlich ist noch immer unklar, ob und in welchem Umfang Glyphosat eine schädliche Wirkung hat, die über die gewollte Dezimierung von Unkraut, Pilzen und Mikroorganismen hinausgeht. Eine neue Studie liefert ein weiteres wichtiges Puzzleteil für das komplexe Problem: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Pflanzenschutzmittel unter bestimmten Umständen schädlich für Hummeln sein kann.

Inwiefern Glyphosat Insekten schädigen kann, ist in Zeiten des Insektensterbens eine wichtige Frage. Diese riesige Tiergruppe steht unter großem Druck: Flächen werden verbaut und ihr Lebensraum fragmentiert, neue Arten siedeln sich an und können für Konkurrenz und mehr Fressfeinde sorgen. Die Landwirtschaft spielt hierbei eine entscheidende Rolle, denn um auf Feldern eine einzelne Pflanzenart möglichst ertragreich anzubauen, werden Ökosysteme stark verändert, und so kann das Nahrungsangebot für Insekten schrumpfen. Dies wirkt sich jedoch wiederum negativ auf den Pflanzenanbau aus, weil die natürlichen Bestäuber wegfallen.

Temperaturregulierung dank Muskelmotors

Während der Wirkstoff beispielsweise für Honigbienen nur in geringem Ausmaß unmittelbar toxisch ist, kann er sie trotzdem indirekt stärker treffen. Eine kleine Studie zeigte etwa, dass er die Darmflora der Tiere schädigen kann und die Bienen dadurch mitunter anfälliger für Infektionen werden. Denn auch Hummeln sind Bestäuberinnen, die in sozialen Verbänden leben.

In Europa kommt die Dunkle Erdhummel häufig vor, die etwa den kommerziellen Anbau von Tomaten maßgeblich beeinflusst. Ein Grund für das Forschungsteam der Universität Konstanz, sich den Einfluss von Glyphosat auf diese Tiere genauer anzusehen. Wie im Fachjournal "Science" berichtet, lautet das Ergebnis kurz zusammengefasst folgendermaßen: Hummeln haben eher Probleme, die Temperatur in ihrem Nest beizubehalten, wenn sie Glyphosat zu sich nehmen und zusätzlich an Nahrungsmangel leiden.

Die Dunkle Erdhummel – Bombus terrestris – ist eine der häufigeren und größten Hummeln, die in Europa leben.
Foto: imago / Nature Picture Library / Phil Savoie

Die richtige Temperatur im Hummelnest kann überlebenswichtig sein. Wenn eine Hummelkönigin nach dem einsamen Überwintern alljährlich eine komplett neue Kolonie heranzüchten muss, sind die richtigen Brutbedingungen bereits vor dem Winter essenziell. Dafür gilt es, eine relativ hohe Temperatur zwischen 28 und 35 Grad Celsius zu halten. Die Wärme produzieren Hummeln ähnlich wie ein Motor mit großem Aufwand – sie lassen durch Muskelspannung ihre Flugmuskeln vibrieren. Um diesen Muskelmotor am Laufen zu halten, brauchen die Insekten genügend Futter.

Wenn die Nahrungsversorgung gut ist, können die Temperaturen gut gehalten werden – egal, ob die im Experiment untersuchten 15 Hummelkolonien nur Zuckerwasser erhielten oder dem Futter Glyphosat – fünf Milligramm pro Liter – zugesetzt wurde. Die "Glyphosathummeln" wandten allerdings etwas weniger Zeit für die Bebrütung auf. Größere Unterschiede zeigten sich, wenn das Futter knapp wurde. Diese Hummeln konnten dann in 25 Prozent der Zeit die Nesttemperatur nicht auf 28 Grad und mehr bringen. Weshalb die mit Glyphosat versorgten Tiere diese Probleme zeigten, konnte noch nicht herausgefunden werden.

Studie als "Durchbruch"

Fachleute, die nicht an der Studie beteiligt waren, sehen in dieser Arbeit einen hilfreichen Beitrag zur Debatte – der emeritierte Neurobiologe Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin spricht sogar von einem "Durchbruch bei der Beurteilung von Pestizidwirkungen und besonders des Herbizids Glyphosat". Davon ließe sich auch ein Standardverfahren für Behörden ableiten. Immer stärker rücken anstelle des direkten Tötungspotenzials der Wirkstoffe, das sie innerhalb von 24 Stunden entfalten, nun indirekte und längerfristige Effekte in den Vordergrund.

Dass daneben vor allem die Folgen für die menschliche Gesundheit eingeschätzt wurden, liegt dem Naturschutzbiologen Axel Hochkirch von der Universität Trier zufolge vor allem daran, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO den Wirkstoff Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" einstufte. Die Forschungslage ist jedoch weiterhin nicht eindeutig. Tierversuche bei Mäusen werden zumeist so interpretiert, dass sich eine krebserregende Wirkung höchstens bei sehr hohen Dosen zeigt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stuft das potenzielle Krebsrisiko für Menschen als gering ein.

Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim fasst den nicht eindeutigen Erkenntnisstand bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen Glyphosat und Entstehung von Krebs bei Säugetieren zusammen.
maiLab

"Seit einigen Jahren werden aber auch die negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt stärker beachtet", sagt Hochkirch, der auch Vorsitzender des Komitees zum Schutz wirbelloser Tiere des Weltnaturschutzverbands IUCN ist. Hummeln leben in kleineren Völkern als Bienen, statt Tausenden von Arbeiterinnen sind es bei den rundlicheren Insekten nur Dutzende bis Hunderte. Daher ist es für sie umso wichtiger, dass dennoch gemeinschaftliche Leistungen wie der Temperaturerhalt erreicht werden.

Dass es in Zentraleuropa künftig immer wärmer wird, dürfte den Hummeln dabei nur wenig helfen, sondern eher für verstärkten Stress sorgen. Weil die Temperaturveränderungen so schnell kommen, muss dies nicht bedeuten, dass sie auch ihr Brutpflegeverfahren rechtzeitig adäquat anpassen können.

Probleme anderer Herbizide

Die im Experiment verwendete Dosis Glyphosat sei vergleichbar mit landwirtschaftlichen Bedingungen, sagt Menzel. Um Studien noch realitätsnäher zu machen, ist es etwa möglich, die Glyphosatgabe im Laufe der Zeit anzupassen, schlägt der Ökologe Dimitry Wintermantel von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg vor. Es sei unwahrscheinlich, dass die Insekten über mehrere Wochen kontinuierlich dem Pflanzenschutzmittel ausgesetzt sind, "weil die Wildpflanzen, auf denen Glyphosat ausgebracht wird, nach wenigen Tagen absterben".

Andererseits werde in der Praxis selten reines Glyphosat verwendet – oft handele es sich um Mischungen des Markennamens "Roundup", wendet Hochkirch ein. Die Beimischungen seien gefährlicher, einer Studie zufolge steigert "Roundup" die Sterblichkeit von Hummeln. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, Glyphosat-Präparate vom Markt zu nehmen, sagt der Forscher. "Es ist aber zu befürchten, dass andere Herbizide eingesetzt werden, deren Wirkung bisher weniger gut untersucht ist."

Was Glyphosat so praktisch macht, ist seine Wirkung, die im Vergleich mit anderen Pflanzenschutzmitteln sehr spezifisch ist. Der Stoff blockiert ein Enzym, das außer bei Pflanzen "nur" in Mikroorganismen und Pilzen vorkommt und viele Tierarten daher nicht direkt betrifft. Doch gerade die indirekten Effekte müssen weiterhin unter die Lupe genommen werden, um besser abwägen zu können, welche Schutzmaßnahmen wann und wo am sinnvollsten sind. (Julia Sica, 2.6.2022)