Am Mittwoch hat Orbán überraschend neue Forderungen eingebracht, die die neuen Sanktionen verzögern.

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Moskau/Brüssel/Kiew – Die Drohung der Budapester Regierung, wegen geplanter EU-Sanktionen gegen das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, das Ölembargo gegen Russland zu blockieren, hat Früchte getragen. Die Botschafterinnen und Botschafter der EU-Staaten bei der EU einigten sich am Donnerstag laut mehreren Medienberichten auf das Sanktionspaket gegen Russland – sparten den Kirchenmann aber aus. Kirill war wegen seiner Unterstützung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine in die Kritik geraten.

Zuvor hatte Ungarn am Donnerstag unklare Aussagen zur Frage der Sanktionen öffentlich gemacht. Anfangs drohte die Regierung von Premier Viktor Orbán offen mit Veto. Später teilte ein Sprecher in Budapest zwar mit, man werde das Paket so mittragen, wie es beim Gipfel beschlossen worden sei. Er sagte aber auch, Ungarns Position, das Kirchenoberhaupt nicht mit Sanktionen zu belegen, sei beim Treffen dargelegt worden, und niemand der Anwesenden hätte dem widersprochen.

Die EU hatte eigentlich geplant, die Rechtstexte für die Strafmaßnahmen, es ist das sechste Sanktionspaket gegen Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs Ende Februar, bereits am Mittwoch zu billigen. Zuvor war in der Nacht auf Dienstag nach wochenlangem Streit bei einem Gipfeltreffen eine Einigung im Streit über das vorgesehene Ölembargo erzielt worden. Ungarn blockierte lange Zeit die Verhandlungen und setzte dabei durch, dass Öllieferungen per Pipeline zunächst von dem Einfuhrstopp ausgenommen werden.

Druckmittel für weitere Zugeständnisse

Am Mittwoch forderte Ungarn nach Angaben von Diplomaten dann überraschend weitere Änderungen. So verlangte das Land, insbesondere auf die geplanten Strafmaßnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt, Patriarch Kyrill, zu verzichten. Kyrill soll mit einem Einreiseverbot und dem Einfrieren von Vermögen belegt werden.

Kyrill I. ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche und ein enger Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hatte bereits Anfang Mai im ungarischen Radio gesagt, dass seine Regierung "es nicht zulassen" werde, dass "führende Kirchenmitglieder auf eine Sanktionsliste gesetzt werden". Die Bedenken Ungarns gegen Sanktionen auch gegen Kyrill seien seit langem bekannt, bemerkte Orbáns Sprecher nun.

Wie der Streit, sofern Ungarn bei seiner Haltung bleibe, gelöst werden könnte, war zunächst unklar. Nach Angaben aus EU-Kreisen sei es denkbar, dass der Widerstand gegen die Sanktionen gegen Kyrill nur ein Druckmittel Ungarns ist, um beim Ölembargo in Detailfragen weitere Zugeständnisse zu bekommen. Der Boykott gegen Öllieferungen aus Russland sieht vor, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollen wegen ihrer großen Abhängigkeit noch bis auf weiteres russisches Öl über die Druschba-Pipeline importieren dürfen.

Russland sieht keine negativen Folgen

Am Mittwoch reagierte der Kreml gelassen auf die Boykottdrohungen aus Brüssel. Die frei werdenden Mengen würden in andere Richtungen umgeleitet, meinte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. "Diese Sanktionen wirken sich natürlich negativ auf den gesamten Kontinent aus – auf die Europäer und auf uns und auf den gesamten globalen Energiemarkt."

Russland werde die negativen Folgen durch systematische Handlungen minimieren, fuhr Peskow fort. Schon nach dem Ölembargo der USA hatte die russische Führung erklärt, dass die Mengen fast komplett auf andere Märkte umgeleitet worden seien. Die Einnahmen sprudelten, hieß es.

Auch die EU will durch einen Ölboykott verhindern, dass Moskau seinen Krieg gegen die Ukraine weiterfinanzieren kann. Durch die hohen Ölpreise fließt zudem aktuell viel Geld in den russischen Staatshaushalt, der stark vom Energieexport abhängig ist. Mit den negativen Folgen – gemeint sind vor allem die hohen Energiepreise – müssten nun vor allem die Europäer leben, erklärte Peskow. (APA, 2.6.2022)