Weitere Gutachten werden darüber entscheiden, wie das Ermittlungsverfahren gegen den beschuldigten Pädagogen verlaufen wird.

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Wien – Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum möglichen sexuellen Missbrauch in einem städtischen Kindergarten in Wien-Penzing sind verzögert worden, weil die Anklagebehörde ungewöhnlich lange auf ein Gutachten zum ersten bekanntgewordenen Verdachtsfall warten musste. "Wir haben das Gutachten mehrfach urgiert", meinte Behördensprecherin Nina Bussek am Mittwoch im Gespräch mit der APA. Eine mehr als einjährige Wartezeit auf eine psychiatrische Expertise sei "nicht üblich".

Die Gutachterin hatte im Frühjahr 2021 den justiziellen Auftrag erhalten, die Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit eines dreijährigen Mädchens zu beurteilen, das in dem Penzinger Kindergarten möglicherweise Übergriffe eines Pädagogen erdulden musste. Im April 2021 führte die Expertin im Rahmen einer gutachterlichen Tätigkeit ein Gespräch mit dem Mädchen. Auf das schriftliche Ergebnis ihrer Begutachtung, von dem der weitere Fortgang des Ermittlungsverfahrens abhing, wartete die Staatsanwaltschaft dann aber etliche Monate vergeblich.

Aussagen womöglich nicht ausreichend

"Im Normalfall hätten wir schon längst umbestellt und eine andere Sachverständige mit einer Gutachtenerstellung betraut", sagte Bussek. Im Hinblick auf das Alter des betroffenen Kindes habe man davon Abstand genommen: "Wir wollten es einer Dreijährigen einfach nicht zumuten, noch einmal in eine Befragungssituation zu kommen."

Das überfällige Gutachten wurde erst vor kurzem der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Wie der ORF zuletzt berichtet hatte, soll es den Verdächtigen insofern entlasten, als die Expertin zum Schluss kommt, dass die Angaben der Dreijährigen nicht für eine Verurteilung ausreichen würden. Der Kindergärtner soll sich nie allein mit dem Kind in einem Raum befunden haben. Über die Einschätzung des Jugendamts heißt es im Gutachten laut ORF: "Durch die Zeugenbefragungen bei der MA 11 Jugendamt und den daraus resultierenden Sachverhalt können vonseiten der Behörde die Vorwürfe nahezu ausgeschlossen werden."

Neue Gutachten entscheidend

Gegen den in Missbrauchsverdacht geratenen Pädagogen stehen allerdings Vorwürfe im Raum, er könnte sich an drei weiteren Kindern vergangen haben. Auch zu diesen möglichen Betroffenen hat die Staatsanwaltschaft Gutachten zur Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit in Auftrag gegeben – bei einer anderen Sachverständigen für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

"Diese war wesentlich schneller", stellte Staatsanwaltschaft-Sprecherin Bussek fest. Eine Expertise wurde bereits der Anklagebehörde übermittelt. Die Staatsanwaltschaft wartet nun die weiteren beiden Gutachten ab, die zeitnah fertiggestellt sei dürften. Davon hängt dann ab, ob und in welche Richtung das Ermittlungsverfahren gegen den Kindergartenpädagogen fortgeführt wird.

Mehr Kinderschutzmaßnahmen

Wiens Vizebürgermeister und Jugendstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) wollte am Mittwoch das Gutachten mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht näher kommentieren. Er kenne jedoch den Akt, weil Wien Parteienstellung habe, sagte er der APA. An seiner Vorgangsweise werde das Ergebnis des Strafverfahrens – auch bei einem etwaigen Freispruch – nichts ändern. Denn das ändere nichts an der Tatsache, dass er mit der Kommunikation in dem Fall nicht zufrieden gewesen sei.

Es gehe nun darum, die entsprechenden Prozesse bei Verdachtsfällen zu verbessern, betonte der Stadtrat. Auch die in die Wege geleiteten Kinderschutzmaßnahmen würden umgesetzt. Wiederkehr hat unter anderem personelle Konsequenzen gezogen und am Dienstag die Ablösung der Leiterin der Magistratsabteilung 10 (Kindergärten), Daniela Cochlar, verkündet.

Kritik an Wiederkehr

Eine Elternvertreterin übte am Mittwoch im Ö1-"Mittagsjournal" Kritik an Wiederkehr. Entgegen dessen Darstellung seien die Eltern nach Bekanntwerden der Vorwürfe nicht "aufgefangen und unterstützt" worden. Ein Elternabend habe verunsichert und "viel mehr Fragen" aufgeworfen. Sie sprach von "völliger Unfähigkeit von Behörden und Politik".

Zu einem vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Vorfall – ein zweiter am selben Standort tätiger Pädagoge soll Kinder strafweise ins WC gesperrt haben – behauptete die Elternvertreterin, in der Einrichtung seien Zettel mit "sehr verwirrenden, angsteinflößenden" Informationen verteilt worden, wogegen Wiederkehr die Medien wenig später in einer Pressekonferenz detaillierter informiert habe.

Erste Tagung der Fachleute

Am Nachmittag hat auch erstmals die von Wiederkehr einberufene Runde mit Fachleuten getagt, die ein Kinderschutzkonzept für Wien erarbeiten soll. Teilgenommen haben unter anderen Vertreterinnen und Vertreter des Kinderschutzzentrums Wien, des Bundesverbands der Kinderschutzzentren, des Vereins Möwe, der Jugendanwaltschaft und der Magistratsabteilung 11 (Kinder- und Jugendhilfe). Bei der ersten Sitzung wurde laut dem Büro des Stadtrats unter anderem festgehalten, dass Konzepte sowohl Kinder als auch Mitarbeiter in Betreuungseinrichtungen schützen sollen.

Empfohlen wurden auch verpflichtende Schulungen für das Personal. Das Treffen habe gezeigt, dass alle Anwesenden ein gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich den Kinderschutz weiter zu verbessern, erklärte Wiederkehr: "Es wurden erste Eckpfeiler wie mögliche gesetzliche Änderungen oder Schulungen für Pädagoginnen und Pädagogen sowie Lehrkräfte diskutiert, die in der nächsten Besprechung, die noch vor dem Sommer stattfinden wird, vertieft und konkretisiert werden." (APA, 8.6.2022)