Wer sich noch an das Foto eines Kleides erinnert, das 2015 heiß diskutiert wurde und manchen Menschen gold-weiß, anderen wiederum blau-schwarz vorkam, weiß: Die visuelle Wahrnehmung kann stark auseinandergehen. Das zeigt sich auch bei optischen Illusionen, die das Gehirn durcheinanderbringen können und beispielsweise Bewegungen in geometrischen Mustern simulieren, obwohl sich das Bild kein bisschen verändert. Ein Forschungsteam hat sich kürzlich eingehend mit einigen trickreichen Abbildungen auseinandergesetzt und ebenfalls festgestellt, dass ihr Effekt keineswegs auf alle gleich ist.

Um den besten Effekt zu erzielen, sollte die Darstellung im Vollbildmodus betrachtet werden.
Bild: Akiyoshi Kitaoka / Frontiers in Human Neuroscience 2022

Manche Menschen können die oben dargestellte Abbildung nämlich betrachten, ohne den Eindruck zu haben, dass das schwarze Zentrum des Bildes näher kommt oder sie sich in einen Tunnel hineinbewegen. Dabei handelt sich um ein unbewegliches Bild und kein animiertes Gif. Eine Illusion, die so wirkungsvoll ist, dass sich sogar die Pupillen beim Betrachten weiten können, wie die Wissenschafter im Fachjournal "Frontiers in Human Neuroscience" dokumentieren.

Pupillenmuskeln spielen lassen

Ihnen zufolge lassen sich etwa 86 Prozent der Menschen von der Illusion einnehmen. Dann ist es ganz so, als würde man tatsächlich in einen düsteren Gang hineinfahren oder in ein schwarzes Loch fallen. Die Augen passen sich an die scheinbar verdunkelten Verhältnisse an, indem sie mehr Licht durch die Pupillen ins Augeninnere fallen lassen: Sie lassen die entsprechenden Muskeln spielen und vergrößern die Pupille, auch wenn sich am realen Umgebungslicht gar nichts verändert.

Dass ein Bild unser Nervensystem so sehr hinters Licht führen kann, dass es diese körperliche Reaktion hervorruft, finden nicht nur die drei Psychologen, die hinter der Studie stehen, faszinierend. "Es gibt an sich keinen Grund, warum sich die Pupille in dieser Situation ändern sollte", sagt Bruno Laeng, Erstautor und Psychologieprofessor an der Universität Oslo, der "New York Times".

Das Team vermutet, dass der Schwarz-Weiß-Gradient hauptsächlich für den Effekt des Trugbilds verantwortlich ist. Es führte eine kleine Untersuchung an 50 Frauen und Männern, deren Sehfähigkeit nicht beeinträchtigt ist, durch. Die Forscher stellten fest: Je stärker die Testpersonen auf das Bild reagierten, desto stärker erweiterten sich auch ihre Pupillen.

Im Ratemodus

Bei 14 Prozent der Probandinnen und Probanden zeigte sich allerdings gar kein Effekt. Womöglich haben vergangene Erfahrungen ihren Blick so sehr beeinflusst, dass sie ein simples 2D-Bild ohne Tunneleffekt wahrnehmen. Die Informationen, die wir von unserer Umwelt erhalten, sind relativ unklar, sagt Laeng: "Das Gehirn ist ständig im Ratemodus, und wir müssen die passendste Lösung finden, aber der gleiche Input kann zu mehreren Möglichkeiten führen." Daher ergeben sich Inkonsistenzen – und deshalb können zwei verschiedene Menschen ihre Umwelt unterschiedlich wahrnehmen.

Das Trugbild wurde auch in verschiedenen Farbvarianten getestet.
Bild: Akiyoshi Kitaoka / Frontiers in Human Neuroscience 2022

Verschiedene Varianten des Bildes haben gezeigt, dass dieser Effekt am extremsten ausfällt, wenn die schwarzen Punkte und der Farbgradient auf pinkem Hintergrund gezeigt werden. Die Forschenden setzen diese neue Illusion des "expandierenden Lochs" auch in Zusammenhang mit früheren Arbeiten, an denen Studienautor Akiyoshi Kitaoka von der Ritsumeikan-Universität im japanischen Osaka beteiligt war. Der Psychologe hat selbst Trugbilder erschaffen, deren Effekt er analysiert, unter anderem ein Bild mit "rotierenden Schlangen" und ein "Morgenlicht", das durchaus zum Blinzeln verleitet.

Die "Asahi"-Illusion simuliert im Gegensatz zum "Schwarzen Loch" helles Sonnenlicht.
Bild: Akiyoshi Kitaoka

Leben in einer virtuellen Realität

Der Neurobiologe Dale Purves, der nicht an der Studie beteiligt war und an der Duke University in den USA forscht, hält die Arbeit für eine "clevere" Demonstration, wobei auch andere Bilder den Effekt der Pupillenvergrößerung eindrucksvoll zeigen würden. Das Phänomen zeigt deutlich, was die visuelle Wahrnehmung von Menschen und anderen Tieren etwa von Kameras unterscheidet: "Uns fehlt dieser physikalische Apparat, wir haben kein Maß für die Welt", wohingegen eine Kamera die Menge des Lichts, das einfällt, direkt messen könne.

Warum das Gehirn so funktioniert, grenzt schon an eine philosophische Frage, sagt Laeng. Eine Hypothese lautet, dass das Hirn versucht, ein wenig in die Zukunft zu blicken. Bis das ins Auge einfallende Licht in eine andere Informationsform übersetzt wird, an der richtigen Stelle im Gehirn ankommt und verarbeitet wird, vergeht immerhin eine gewisse Zeit, die für Reaktionen einberechnet werden muss. "Wir leben also eigentlich in einer virtuellen Realität", sagt Laeng. "Aber es ist eine pragmatisch nützliche virtuelle Realität." (Julia Sica, 9.6.2022)