Konzentriert und inspirierend – Sir Simon Rattle.

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Während der Wiener Festwochen Gustav Mahlers Lied von der Erde – außerhalb dieses Festivals – zu begegnen beschert Déjà-vu-Erlebnisse. Es ist nämlich etwa ein Jahr her, dass Regisseur Philippe Quesne im Volkstheater Mahlers "Liedersymphonie" als dystopische Warnung vor der Ökokatastrophe inszenierte.

Zu der Erinnerung gesellte sich am Sonntag im Musikverein allerdings eine Erkenntnis: Bei qualitätsvoller Umsetzung bedarf das Werk keiner theatralischen Verdichtung. Das einst von Claudio Abbado gegründete Chamber Orchestra of Europe setzt mit Dirigent Sir Simon Rattle – bei aller Behutsamkeit – auf sehr direkten Zugriff. Dies ergab ein quasi sich instrumental offenbarendes Musiktheater.

Niemals karg

Mahlers in Klang gesetztes "Vorbeiziehen des Lebens" (Anton Webern) erschien in der Bearbeitung für Kammerorchester von Glen Cortese. Dermaßen "verschlankt", legt es einen unsentimentalen Ausdruck nahe. Rattles Zugriff wirkt aber nie karg oder gar durchgehend düster oder dystopisch. Beim Abschied leuchten vielmehr alle Ausdrucksvaleurs zwischen sanfter Poesie und Drama auf. Mezzosopranistin Magdalena Kožená verlieh den vokalen Linien dabei im Piano lyrischen Glanz und den extrovertierten Passagen erdige Schönheit.

Die Trauer der Musik

Überragend der britische Tenor Andrew Staples: Ob er nun heiter den Trunkenen im Frühling gab oder den Jammer der Erde besang: Staples bliebt der mit Emphase und Leichtigkeit die Partie zelebrierender Sängerdarsteller, dessen flaumiges Timbre ungefährdet im Orchesterklang leuchtete.

Das Chamber Orchestra of Europe vermochte zuvor auch im Bereich der reinen Melancholie vielschichtig zu punkten: Richard Strauss’ Metamorphosen für 23 Solo-Streicher waren die schaurig-edle Trauermusik, die sich zum kontrapunktisch bewegten, aufwühlenden Klagegesang entwickelte, der punktuell um Nuancen sauberer hätte klingen können. Der Wirkung hatte es aber nicht geschadet. (Ljubiša Tošic, 7.6.2022)